Twitter - 180°-Wende des Managements

Stephan Heibel
Veröffentlicht von Stephan Heibel am 28.07.2015
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

Heute Nacht hat Twitter Quartalszahlen vorgelegt. Die Zahlen waren gut, die Aktie sprang zunächst um 4% an, nachdem sie im regulären Handel gestern bereits um 5% zugelegt hatte. Doch dann kam die Telefonkonferenz mit CFO Anthony Noto und Gründer und Interim-CEO Jack Dorsey. Diese beiden zerstörten jede Hoffnung auf ein baldiges Wachstum bei Twitter und schicken die Aktie um 12% in den Keller.


Schauen wir uns das Ganze also einmal im Detail an:

Der Umsatz stieg um 61% auf 502 Mio. USD, erwartet wurden lediglich 481 Mio. USD Umsatz. Der Gewinn je Aktie, wenn man einmalige Sonderbelastungen heraus rechnet, stieg auf 7 Cents, Analysten erwarteten lediglich 4 Cents. Unterm Strich meldete Twitter jedoch einen Verlust von 21 Cents je Aktie bzw. 136 Mio. USD. Diese Zahlen begeisterten Anleger, zeigen sie doch, dass Twitter mit dem Kurznachrichtendienst mehr Werbeeinnahmen generieren kann als gedacht. 

Doch dann kam schon eine kritische Zahl: Das Nutzerwachstum ist lediglich von 302 auf 308 Mio. Nutzer angewachsen. Bezieht man Apps und Software-Lösungen mit ein, die auf den Twitter-Feed zugreifen, steig die Nutzerzahl von 308 auf 316 Mio. Nutzer. Beides ist kein Wachstum, das einem Wachstumsunternehmen gerecht wird. 

Das schwache Nutzerwachstum beschäftigt uns schon eine Weile, die Sorge ist also nicht neu. Doch es folgte die Telefonkonferenz, in der das Management das Gegenteil dessen sagte, was Jack Dorsey noch vor 4 Wochen in seinem Antrittsinterview auf CNBC sagte. Während er zunächst seinen Vorgänger Dick Costolo und seine Strategie in Schutz nahm, schlug er nun vehement auf sein Unternehmen ein. Es gebe keine wirklich neuen Produkte bei Twitter, das Nutzerwachstum sei enttäuschend und schlimmer noch, die tägliche Nutzung von Twitter durch die bestehenden Nutzer sei rückläufig. Das liegt an der schweren Nutzbarkeit seines Dienstes und auch sein Unternehmen habe es nicht verstanden, die Nutzung von Twitter seinen Kunden beizubringen. Zudem gebe es nur stark beschränkte Werbeplätze, was die Akzeptanz bei der Werbeindustrie negativ beeinflusse. 

Gründer und interim-CEO

Rums, Twitter ist schlecht, sagt also der Gründer und interim-CEO. Das war das Gegenteil dessen, was er vor vier Wochen bei CNBC sagte. Damals lobte er seinen Vorgänger und zeigte sich kritischen Fragen gegenüber völlig verständnislos. Ich fand das Interview überaus befremdlich, denn warum musste Costolo gehen, wenn sein Nachfolger alles genauso machen würde? Doch Jack Dorsey hat offensichtlich gemerkt, dass in seinem Laden etwas faul ist und hat nunmehr seine Strategie geändert - um 180°. Alles ist schlecht. 

Wer nun erwartet hat, Dorsey zeigt einen Weg aus dem Schlamassel auf, der wurde nicht nur enttäuscht, sondern geschockt: CFO Anthony Noto kam als nächstes zu Wort bestätigte die desolate Lage seines Unternehmens und zeigte auf, dass es kurzfristig auch keine Lösung gebe. Vielmehr würden Lösungen Zeit und Geld in Anspruch nehmen, so dass es in den kommenden Quartalen eher noch schlimmer kommen werde. 

Die Situation stellt sich für mich also folgendermaßen dar: Twitter ist an die Grenzen seines Wachstums gestoßen, der CEO wurde vom Hof gejagt und einen neuen CEO gibt es nicht. Der interims-CEO hat keinen Plan, wie es besser werden könnte und der Finanzchef stellt sich auf einen größeren Kapitalbedarf ein (Aktienplatzierungen, die den Kurs der Altaktien weiter verwässern).

Wer will diese Aktie noch im Portfolio haben? 

Ich! Denn einige Dinge wurde nicht gesagt: Twitter ist nach wie vor der weltweit bekannteste Kurznachrichtendienst und wird nach wie vor intensiv von Menschen genutzt, die zeitnah informiert sein wollen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Twitter in dieser Aufgabe bald abgelöst wird. Es geht nach wie vor darum, Twitter besser für die Nutzer nutzbar zu machen: Bessere Suchfunktionen, individuell konfigurierbare Übersichten über Themen, Temenkomplexe etc., so dass Nachrichten über Twitter verbreitet werden und Leser über Twitter auf entsprechende Links klicken, um sich zu informieren. Der Nachrichtenbereich ist auch nach 20 Jahren Internetboom noch immer nicht zufriedenstellen gelöst, man muss verschiedene Kommunikationswege (RSS, SMS, refresh von Webseiten, ...) aktuell halten, um über verschiedene Themen zeitnah informiert zu sein. Und Twitter ist prädestiniert dafür, diese Aufgabe für seine Nutzer zu bündeln. 

Was auf den ersten Blick irritiert, könnte Strategie sein: Gründer und interim-CEO Jack Dorsey könnte anstreben, selbst den CEO-Posten zu bekommen. Davon gehen derzeit nur wenige aus, denn er ist voll in Beschlag genommen von seinem zweiten Start-Up Square, das er für den Börsengang vorbereitet. Er dürfte kaum ausreichend Zeit haben, sowohl Square an die Börse zu führen und gleichzeitig Twitter aus dem Sumpf zu ziehen. 

Doch mit der Telefonkonferenz von heute Nacht hat er sich für diese Position indirekt beworben - und qualifiziert. Nachdem er sich durch das CNBC-Interview vor vier Wochen quasi selbst aus dem Rennen geschossen hat, ist er nun wieder ein heißer Kandidat. Denn er hat gezeigt, dass er die Probleme erkannt hat, sie benennen kann und bereit ist, nach Lösungen zu suchen. Dabei ist er sicherlich überaus qualifiziert für diese Aufgabe, da kaum ein andere das von ihm gegründete Unternehmen so gut kennt wie er. 

Nach dieser Telefonkonferenz liegt es nahe, das der Aufsichtsrat ihn beauftrag, doch einmal Lösungsvorschläge auszuarbeiten, während man sich weiter nach einem passenden CEO umschaut. Damit ist Dorsey noch lange nicht CEO, aber es gibt nun einen Kandidaten, der als Benchmark für die Suche gelten kann. Und wenn kein besserer gefunden werden kann, dann kann Dorsey das Amt bekommen. Ich gehe davon aus, dass sein Engagement bei Square vor einem solchen Hintergrund irgendwie geklärt werden kann. 

CFO Noto hat keine Sonne auf den Konzern scheinen lassen

Die bittere Pille müssen Analysten nun schlucken und ich gehe davon aus, dass heute und in den kommenden Tagen einige Abstufungen zu Twitter die Runde machen werden. Das dürfte die Aktie nochmals unter Druck setzen. 

Wenn die Abstufungen aber einmal durch sind, dass ist Twitter "resettet", also auf einer neuen Ausgangsposition. von da an kann es in meinen Augen nur noch aufwärts gehen, es sei denn Dorsey sagt in den kommenden Wochen, dass es aus welchen Gründen auch immer keine Lösung für die Probleme geben kann. UNd das erwarte ich nicht. 

Ich würde also noch ein wenig abwarten und im Falle einer Bodenbildung unsere Position aufstocken. 

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