Einigung pro Europa

Da schreibe ich seit fünf Jahren kontinuierlich und häufig auch gegen den Mainstream, dass Griechenland niemals den Euro aufgeben werde, weil das politisch nicht gewollt sei, und erst am vergangenen Mittwoch bin ich eingeknickt. Das war wohl die dunkelste Stunde des Griechenland-Dramas, denn schon wenige Stunden später startete die französische Initiative und zog einen Verhandlungspartner nach dem anderen auf die europäische Linie.
Meine Meinung: Schön, dass eine Lösung gefunden wurde
Es hört sich für mich derzeit so an, dass wesentliche Kernforderungen
der Europäer durchgesetzt wurden. Kernforderungen, die vom
griechischen Volk vor einer Woche noch mit überwältigender
Mehrheit als entwürdigend abgelehnt wurden. Dafür erhalten die
Griechen mehr Geld.
Einen Schuldenschnitt wird es nicht geben. Doch die Griechen
erhalten so viel Geld, dass es mich wundern würde, wenn davon
nicht andere Staatsausgaben entlastet werden können, deren
Mittel sodann für Zins und Tilgung der hohen Staatsschulden
verwendet werden können. Kein Schuldenschnitt aber über Umwege
dennoch eine Finanzierung der Schulden.
Aber egal, es geht schon lange nicht mehr ums Geld, es geht um
ein modernes System, das in Griechenland von der Pieke
aufgebaut werden muss.
Konsequenz: Neuwahlen
Nun wird Tsipras diesen Kompromiss vermutlich mit
überwältigender Mehrheit aber ohne Geschlossenheit in seiner
eigenen Partei durch das Parlament bekommen. Die Konsequenz
sind dann Neuwahlen, wie gestern durchsickerte. Neuwahlen
werden wieder einen neuen Unsicherheitsfaktor darstellen.
Zudem setzen die Griechen nun Reformen um, die sie vor einer
Woche abgelehnt haben und nun nur unter höchstem Druck, manche
sprechen schon wieder von Erpressung, genehmigen mussten. Wer
Tsipras' Rede vor dem Europpaparlament verfolgt hat der weiß,
dass es in Griechenland eine ehrenwerte Handlung sein wird, in
einigen Monaten diese Reformen erneut als aufgezwungen
abzulehnen. Wer weiß, welche Regierung dann gewinnt und für
welche Entscheidungen sie sich vom Volk legitimiert sieht.
Aus Finanzsicht wäre also ein Ende mit Schrecken, also der
Grexit, schöner gewesen. Aus menschlicher Sicht und aus Sicht
unserer europäischen Kultur kann ich jedoch den abermaligen
Versuch, Griechenland bei der Stange zu halten, nur
unterstützen.
Spekulanten, Anleger und internationale Investoren
Ich habe am Wochenende nochmals mehrere Sentiment-Erhebungen
ausgewertet. Dabei sind mir drei unterschiedliche
Anlegergruppen aufgefallen: Spekulanten, Anleger und
internationale Investoren.
In den vergangenen Wochen wurden die Schwankungen im DAX
maßgeblich von Spekulanten beeinflusst. Die Beteiligung von
Anlegern, die langfristige Positionen auf- oder abbauen, war
gering. Zwar stieg der Optimismus parallel zu den
Entwicklungen, die ein Ende des Griechenland-Dramas erhoffen
ließen. Doch Positioniert hat sich kaum jemand, die meisten
haben das Hin und Her letztlich von der Seitenlinie aus
beobachtet.
Goldene Zeiten für Spekulanten
Für Spekulanten stellten die vergangenen Wochen hingegen
goldene Zeiten dar. Immer wieder rannte der DAX an obere oder
untere Marken, wo kurzfristige Positionen eingegangen oder
aufgelöst werden konnten. Was zu Zeiten der Seitwärtsbewegungen
oft zu nervenzehrenden Wartezeiten für Spekulanten führt bleib
diesmal aus.
So haben Spekulanten im Tief am vergangenen Mittwoch Positionen
aufgebaut. Nun, da eine Lösung mit Griechenland erzielt wurde,
werden langfiristig orientierte Anleger wieder zugreifen und
versuchen, noch schnell das eine oder andere Schnäppchen zu
erwischen.
Heute Nachmittag werden dann internationale (US-)Investoren
zugreifen, um auch ein bisschen von der europäischen Einigung
zu profitieren.
So dürfte die Rallye schnell und heftig ausfallen. Lassen wir
uns überraschen, wie weit sie uns tragen wird. Was heute früh
rosig aussieht könnte jedoch schon bald wieder eingetrübt
werden, wenn die ersten kritischen Stimmen aus Griechenland zu
hören sein werden.
Kein Ende der Rallye in Sicht
In China wurden steigende Kurse befohlen. Die Lösung des
Griechenland-Dramas wird international positiv gesehen. An den
Börsen wird die Zukunft gehandelt und positive Entwicklungen
werden ad hoc in höhere Kurse umgesetzt. Spekulanten dürften
bald mit ihren Verkäufen beginnen, Gewinnmitnahmen, was die
Rallye bremsen sollte. Doch ich rechne vorerst nur mit einer
bremsenden Wirkung, nicht aber mit einem Ende der Rallye.
Unsere Hartnäckgkeit zahlt sich nun aus. Kaum jemand hatte im
Verlauf der vergangenen Woche den Mut gehabt, nennenswerte
Positionen einzugehen. Durch unsere schrittweise Vorgehensweise
und die Anpassung unserer Portfoliostruktur an die jeweiligen
Verhältnisse sind wir nahezu voll investiert und profitieren
nun voll von der Rallye.
Zu gegebener Zeit werden auch wir ein paar Gewinne mitnehmen,
ich werde mich dann mit entsprechenden Updates bei Ihnen
melden.