Die EZB enteignet den deutschen Sparer nicht!

SWISSINVEST
Veröffentlicht von SWISSINVEST am 19.04.2016
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

BÖRSENSIGNALE

Grundsätzlich sollte man ja hellhörig werden, wenn sich plötzlich eine breite Front erhebt, die sich als Anwalt des „deutschen Sparers“ ausgibt. Vielmehr geht es hier um das einstmals recht bequeme und einträgliche Geschäftsmodell vieler Banken und Versicherungen. Denn angesichts eines weltweit mauen Wachstums und niedriger Zinsen scheint man nicht mehr zu wissen, wie man möglichst risikolos die Überschüsse erwirtschaften soll.


Die als sichere langfristige Anlage  begehrten 10jährigen Staatsanleihen, die noch vor der Finanzkrise gekauft wurden und daher sehr viel höher verzinst waren als die derzeit neu ausgegebenen Wertpapiere, laufen ja nun langsam aus. Und die Versicherer bekommen nun kalte Füße, das ist verständlich. Doch die EZB hat eben nicht den Auftrag, die Geschäftsmodelle der Versicherungswirtschaft zu schützen! Und auch nicht den deutschen Sparer. Ihr Auftrag ist die Geldwertstabilität in der Eurozone.


Im Februar betrug die Teuerung in der Eurozone sowie in Deutschland minus 0,2%; in Spanien minus 0,9%.

Zu diesem Zweck muss sie seit einigen Jahren sogar Rezessionen, Bankenpleiten und Staatsinsolvenzen mit allen Mitteln verhindern. Denn erst wenn die Deflationsgefahren abgewendet sind, die (Euro-)Wirtschaft stärker wächst und die Inflation anzieht, können auch die Zinsen wieder steigen. Und dann profitieren auch die Versicherer und die deutschen Sparer wieder! Daher ist die Geldpolitik der Notenbanken mitnichten gegen die Sparer gerichtet, sondern schafft überhaupt erst die Voraussetzungen für ein steigendes Zinsniveau. Wem das allerdings zu lange dauert, dem bietet sich ja seit Jahren eine Alternative an, die in all der Zeit ohnehin die vernünftigste Anlageform war: die Aktie!

Die Signale der Zinsstruktur sind auch angesichts der Nullzins-Politik noch zuverlässig

Doch nicht erst seitdem die EZB den Leitzins auf null gesenkt hat, erhalten auch wir in der Redaktion der BÖRSENSIGNALE besorgte Leserbriefe. Im Kern dreht es sich um die Frage, ob das Ergebnis unseres Konjunkturindikators „Zinsstruktur“ nicht verzerrt sei, oder ob er überhaupt noch funktionieren könne, wenn die Zinsen durch die Notenbanken „künstlich“ niedrig gehalten würden. Der Grund ist, dass wir ja bei unserer Berechnung der Zinsstruktur die kurzen Geldmarktzinsen (in Europa und den USA) von den langen Zinsen (10jhr. US-Staatsanleihen und deutsche Umlaufrendite) abziehen. Und wenn die kurzen Zinsen, die von den Notenbanken gesteuert werden können, bei Null notierten, dann könne unsere Zinsstruktur ja im Grunde nicht mehr unter Null fallen! 

Käme es nun also zu einer Rezession, dann sei unser Indikator „Zinsstruktur“ in Zeiten einer Null-Zins-Politik nicht mehr ausreichend, um den Konjunkturverlauf und die Reaktion des Aktienmarktes darauf frühzeitig anzuzeigen. Nun, um es gleich auf den Punkt zu bringen: Sicherlich ist dies theoretisch denkbar. Aber es ist nicht sehr wahrscheinlich! Denn eine Null-Zins-Politik hält unsere Zinsstruktur zum einen nicht nur rein rechnerisch im Plus, sondern sie hat auch ganz reale Auswirkungen, denn sie kurbelt ja eben die Konjunktur sehr stark an!
Zum anderen errechnen sich die von uns verwendeten durchschnittlichen Geldmarktzinsen ja durch Addition der jeweiligen Werte aus der Eurozone und den USA, und das Ergebnis teilen wir dann wiederum durch den Faktor zwei. Die kurzen Euro-Zinsen liegen zwar momentan bei minus 0,01%. Doch die kurzen US-Zinsen notieren mit steigender Tendenz bei 1,20%! Damit ergibt sich für unsere Berechnung der Zinsstruktur ein durchschnittlicher Geldmarktzins von derzeit 0,595. Ob wir hier überhaupt jemals die Null sehen werden, ist doch äußerst fraglich.


Ab Mitte 2014 geht der Trend der Geldmarktzinsen in Europa und den USA auseinander.

Und schließlich senkt die EZB ja nicht nur die kurzen Zinsen, sondern auch die langen, indem sie u.a. 10jhr. Staatsanleihen am Markt kauft. Der Abstand zwischen den langen und den kurzen Zinsen wird dadurch tendenziell wieder geschmälert und unser Endergebnis sehr viel weniger „verzerrt“, als viele Leser glauben. Wir können also beruhigt festhalten: Die Geldpolitik der Notenbanken setzt unseren Indikator „Zinsstruktur“ keineswegs außer Kraft!

Nach welcher Maxime handeln die Notenbanken?

Wer im Übrigen meint, die Zinsen würden durch die Notenbanken „künstlich“ niedrig gehalten, der übersieht obendrein, dass das Niveau der Leitzinsen, das von den Notenbanken festgesetzt wird, schon immer „künstlich“ war. Denn freilich greifen die Notenbanken ja ins Marktgeschehen ein – weil sie genau zu diesem Zweck gegründet worden sind! Aber die Leitzinsen werden eben nicht willkürlich gesetzt. Sicherlich haben die Notenbanken dabei einen gewissen Handlungsspielraum, sonst hätten wir es ja nicht mit Politik, sondern eher mit einem technischen Verwaltungsakt zu tun. Doch die Notenbanken orientieren sich bei ihrer Beeinflussung der Geldmarktzinsen grundsätzlich immer am Verlauf von Konjunktur und Inflation sowie an weiteren ganz realen Geschehnissen auf den Märkten. Und auch gegenwärtig tun sie genau das. Momentan handeln sie exakt so, wie sie es etwa auch in Zeiten hoher Inflationsraten zur Bekämpfung der Teuerung tun: Sie nutzen ihre Möglichkeiten, um die Inflation auf die gewünschten 2% zu bringen. Kaum jemand käme doch auf den Gedanken zu glauben, dass ein kurzer Zins von 5% (wie zuletzt von Mai bis Oktober 2008) „künstlich“ hoch, und das Ergebnis unserer Zinsstruktur dadurch verfälscht sei. Es ist also zunächst einmal nichts „künstlich verzerrt“, denn die kurzen Zinsen entstehen nie durch Angebot und Nachfrage, sondern werden immer politisch gesetzt, um die Geldwertstabilität sichern zu helfen.

Auszug aus den Börsensignalen Ausgabe 07/2016
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