Der Aktienmarkt Deutschland startet mit gemischten Gefühlen, aber einem konstruktiven Rahmen in ein spannendes Börsenjahr 2012
Frankfurter Börsenbrief
Zwischenbilanz: Nach minus 14,7 % in 2011 und einem freundlichen Jahresauftakt, würde der DAX gut 2.000 Punkte oder grob 35 % benötigen, um das alte Rekordhoch erneut zu testen. Stimmungstechnisch erscheint dies derzeit völlig abwegig und passt auch nicht in das aktuelle Erwartungsmuster der typischen Aktienstrategen in Deutschland. Die Median DAX-Erwartung liegt per Jahresende 2012 bei 6.600 Punkten mit einer Bandbreite von 5.500 (Société Générale) bis 7.600 (Nomura). Natürlich gibt es immer noch einige gravierende Baustellen und sicherlich auch Risiken, doch stehen dagegen auch einige interessante Eckpunkte, die das Rückschlagrisiko mind. abfedern bzw. bei einer gewissen Entspannung sogar zu einem Sprungbrett werden können. Halten wir fest:
Der deutsche Arbeitsmarkt war niemals in den letzten Jahrzehnten stärker als in 2011. Erstmals lag die Zahl der Beschäftigten jenseits der Marke von 41 Millionen mit jahresdurchschnittlich 41,04 Millionen Menschen (mit Wohnort in Deutschland). Das überstieg den vorjährigen (Rekord-)Wert um 535.000. Auch die Struktur hat sich verändert: In der wichtigen Exportnation Deutschland sind inzwischen etwa 73,8 % der Erwerbstätigen im tertiären Sektor angestellt, auf das produzierende Gewerbe (ohne Bau) entfiel ein Anteil von gerade mal 18,7 %. Die nähere Zukunft ist verheißungsvoll, denn auch die Nachfrage nach Arbeitskräften befindet sich in Deutschland auf einem Rekordniveau. Seit seiner Einführung im Jahr 2004 gab es beim Stellenindex der Bundesagentur für Arbeit niemals einen höheren Wert als die zuletzt vermeldeten 180 Punkte. Der feste Arbeitsmarkt stärkt tendenziell die inländische Nachfrage und bedeutet damit gegenüber den wackeligen Perspektiven im ebenfalls immens wichtigen deutschen Außenhandel ein Gegengewicht, das man nicht unterschätzen sollte. Der feste Arbeitsmarkt ergänzt ein extrem niedriges Zinsniveau, was den Anreiz zum Sparen tendenziell senkt und den Anreiz zum Konsum entsprechend erhöht. Angesichts eines Geldvermögens der Deutschen (inzwischen knapp 5.000 Mrd. €), liegt hierin das Potenzial eines echten Hebelbzw. Kompensationseffektes.
Das niedrige Zinsniveau erhöht den immensen Anlagedruck in der Versicherungsbranche. Eine ganze Reihe von Lebensversicherern kann ihren Kunden nur noch weniger als 4 % laufende Verzinsung bieten oder garantieren. Und selbst dieser niedrige Wert ist keine Selbstverständlichkeit, denn während europäische Staatsanleihen weiterhin ein heißes Eisen bleiben, hat sich in deutschen Anleihen (bei Mikrozinsen) ein beträchtliches Kursrisiko aufgebaut. Noch eklatanter ist die Renditesituation real gerechnet, also inkl. Inflation. Bei zehnjährigen Bundesanleihen zahlt man real gerechnet ganz klar drauf. Andererseits aber liegt die wirtschaftliche Aktienquote bei einer Reihe von deutschen Lebensversicherern (inkl. Absicherung) bei weniger als 1 %. Das macht so keinen Sinn und erhöht definitiv den Druck, endlich umzudenken und die Aktie neu zu entdecken.
Dies wird tendenziell erleichtert durch die moderate Bewertung deutscher Aktien. Der Buchwert des DAX ist mit grob 5.200 DAX-Punkten anzusetzen. Natürlich kann ein Wertpapier oder Index temporär auch unter seinen Buchwert fallen, aber sofern die Summe der Gewinne unter den DAX-Unternehmen positiv ausfällt, macht ein Unterschreiten der Buchwerte nicht wirklich Sinn. Für den DAX wird ein Gewinn („je DAX“) von 654,05 € unterstellt und damit eine Verbesserung um 7,2 % gegenüber dem geschätzten 2011er-Wert. Gerade im ersten Quartal dürfte hier noch hinund hergerechnet werden. Aber selbst wenn es im Gesamtjahr ein Hauch weniger werden würde, ergäbe sich eine Gewinnbewertung im DAX von gerade mal grob 9,5. Nur als Rechenspiel: Würden wir längerfristig ein DAX-KGV von 15 unterstellen, dann hieße das von der aktuellen Gewinnschätzung her ein DAX-Niveau von 9.800 Punkten. Natürlich ist das kein Jahres-Kursziel, und entsprechende Überlegungen/Rechnungen sind derzeit auch nicht in Mode. Aber Sie können daran ablesen, dass eine permanente „Krisen-Denke“, insbesondere an der Börse, fehl am Platze ist. Im Gegenteil: Aus Krisen erwachsen mitunter die spannendsten Möglichkeiten.