Wirecard in der Wunschanalyse

Dem Markt für Online-Zahlungssysteme gehört die Zukunft, doch die komplexen Lösungen beinhalten stets einen Bonitätscheck und kommen daher nur sehr langsam auf den Markt. Eine Marktlücke, die Wirecard für sich entdeckt hat: Auf Guthabenbasis kann im Internet überall bezahlt werden, wo eine Mastercard-Abwicklung angeboten wird. Die Aktie ist jedoch in meinen Augen bereits ambitioniert bewertet. Eine Bemerkung vorweg: 2010 habe ich Wirecard zuletzt eingehend analysiert und riet damals aufgrund von Vorwürfen im Markt, ein maßgeblicher Teil des Umsatzvolumens seit durch Kunden der Grauzone erzeugt worden, sich von der Aktie fern zu halten. Seither hat sich der Aktienkurs verdoppelt – ich scheine also bei dieser Aktie kein gutes Händchen gehabt zu haben und werde mich diesmal um so mehr anstrengen.
KREDITKARTE FÜR'S INTERNET
Die damaligen Vorwürfe waren nicht aus der Luft gegriffen, immerhin lagen mir Unterlagen über eine Festnahme seitens des FBI in Florida vor, die eben diese Geschäftspraktiken zum Thema hatten. Es ist eben nicht leicht im Internet die gleichen Sicherheitsstandards zu implementieren wie es die Kreditkartenanbieter Mastercard und Visa in den vergangenen Jahrzehnten in der Offline-Welt geschafft haben.
Wirecard hat diese Vorwürfe durch eine aggressive Kommunikationspolitik aus der Welt schaffen können und konnte, entgegen meiner Erwartung, den Ausbau des Geschäfts vorantreiben. Mastercard und Visa stecken mit ihren Ansätzen noch heute in den Kinderschuhen, und so kann Wirecard den Jahresumsatz mit Wachstumsraten von 15-20% p.a. kräftig ausweiten.
Schauen wir uns also das Geschäftsmodell von Wirecard einmal näher an: Die Online-Kreditkarte funktioniert nur auf Guthabensbasis. In den USA heißt sowas „Debit-Card", also Guthabenkarte. Der Vorteil ist, dass Wirecard den Zahlungsverkehr abwickeln kann ohne auf Schufa-Anfragen angewiesen zu sein. Ein weiterer Grund, warum immer wieder das Geschäftsmodell unter Beschuss steht: Wirecard haftet der Nimbus an, für diejenigen zu sein, die Probleme mit der Schufa haben. Das ist bei den Wettbewerbern ClickandBuy, Giropay, Paypal oder T-Pay nicht so, dafür ist dort der technologische Aufwand zur Begleichung der Zahlungstransaktionen viel größer.
Einen Vertrauensstempel hat Wirecard jüngst durch die Deutsche Telekom erhalten, die neben ihrem T-Pay nun auch das Wirecard-System testet und ihren Kunden anbieten möchte.
Auf der einen Seite arbeiten die Wettbewerber also an extrem aufwendigen Lösungen für Online-Kreditkarten, was den Wettbewerb noch auf einige Zeit hin moderat bleiben lässt. Auf der anderen Seite sind die Wettbwerber natürlich ungleich größer (Dt. Telekom, Ebay, Mastercard, Visa, ...), und in einem Preiswettbewerb dürfte Wirecard Probleme bekommen. Die Strategie für Wirecard muss also heißen, die eigene Technologie den hinterherhinkenden Wettbewerbern schmackhaft zu machen, wie eben gerade erst mit der Deutschen Telekom geschehen.
BEWERTUNGSNIVEAU IN ORDNUNG, BILANZ SAUBER
Trotz hoher Anfangsinvestitionen ist es Wirecard gelungen, die Gewinnmarge (EBIT) um 25% konstant zu halten. Expansion ins asiatische Ausland, ein Umzug in eine neue Firmenzentrale konnten in den ersten neun Monaten von 2012 die Marge von 31 nur auf knapp 21% drücken.
So schlummern etwa 226 Mio. Euro (Analystenschätzung) Nettoliquidität in der Bilanz, und der freie Cashflow dürfte 2012 erstmals einen kräftigen positiven Beitrag zum Jahresergebnis liefern. Wir haben hier also ein Unternehmen, das jährlich um 15-20% wächst, das wird auch für die kommenden Jahre erwartet, und mit einem KGV 2013e von 22 bewertet ist. Eine nennenswerte Dividende gibt es nicht (0,8%), ist auch nicht nötig, da es sich um ein Wachstumsunternehmen handelt, das sein Geld lieber in die Expansion stecken sollte.
Sie kennen meine Faustregel: Ein Unternehmen darf ein KGV entsprechend seiner Gewinnwachstumsgeschwindigkeit haben. Bei Wachstumsunternehmen sind Anleger schon mal bereit, das Doppelte dafür hinzulegen. Wirecard wäre dieser isolierten Betrachtung zufolge also mit einem KGV 13e von 30-40 noch nicht überbewertet...
...wenn da nicht der Wettbewerb und die Konjunkturentwicklung wäre.
FORTSCHREITENDE INTERNATIONALISIERUNG ODER KLEINSTAATEREI
Den Wettbewerb habe ich oben bereits angesprochen. Die Konjunktur scheint sich derzeit weltweit zu erholen, doch für die USA und für China werde ich da so langsam wieder vorsichtiger. Als wirkliche Gefahr sehe ich jedoch eine aufkeimende Kleinstaaterei. Der Alleingang einiger Euro-Länder bei der Einführung der Transaktionssteuer zeigt, dass wir noch weit von globalen Märkten entfernt sind. Und hier erwarte ich insbesondere für das gerade begonnene Jahr eine neue Kreativität der Behörden, die jeweilige nationale Wirtschaft zu schützen.
Es ist kein Thema, das den Expansionsdrang von Wirecard aufhalten könnte, doch es wird Meldungen geben, die einige Anleger nervös machen und somit zu einer Belastungsprobe für die Nerven der Anleger führen könnten.
FAZIT: CHANCENREICH NUR FÜR ANLEGER MIT STARKEN NERVEN
Wenn ich einmal auf den für 2013 von Analysten durchschnittlich erwarteten Gewinn von 0,87 Euro ein KGV von 30-40 anlege, dann erhalte ich ein Kursziel von 26,10 bis 34,80 Euro. Auf der anderen Seite wird das exorbitante Wachstum jedoch künftig verstärkt durch Akquisitionen im Ausland unterstützt, was zunächst einmal stets zu Kosten führt. Zudem muss das Unternehmen für ein KGV über 30 unter Beweis stellen, die Wachstumsgeschwindigkeit auch künftig beibehalten zu können.
Es gibt eine reelle Chance, aber wie immer ist das hier kein Investment ohne Risiko. Ich würde daher ein risikogewichtetes Kursziel für 2013 von 21,75 Euro ansetzen. Vom aktuellen Kurs aus gesehen (18,77 EUR) ist das zu wenig, um mich zu begeistern. Aber wie eingangs gesagt: Ich war schon vor zwei Jahren dem Unternehmen gegenüber zu skeptisch und fordere Sie daher bei dieser Aktie auf, über diese Wunschanalyse hinaus eigene Recherche anzustellen.