Twitter - Hohe Bewertung nach fulminantem Börsengang

Stephan Heibel
Veröffentlicht von Stephan Heibel am 20.11.2013
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

Nach einem fulminanten Börsengang ist Twitter recht hoch bewertet. In der heutigen Wunschanalyse gehe ich insbesondere auf technische Details eines Börsengangs ein, da diese in meinen Augen dafür verantwortlich sein werden, dass in den kommenden Monaten die Risiken überwiegen. Nur sehr langfristig orientierte Anleger kaufen zu heutigen Kursen.


SAUBERER BÖRSENGANG

250% Kursgewinn in einem Jahr, das ist doch recht ordentlich. Vor einem Jahr ist der letzte Privatinvestor bei Twitter eingestiegen. Für seine Beteiligung wurde ein Wert von 7 Mrd. USD für Twitter zugrunde gelegt.

Anfang November ist Twitter an die Börse gegangen. Die Marktkapitalisierung beträgt nun 24,5 Mrd. USD. Der Investor, der vor einem Jahr eingestiegen ist, hat seinen Schnitt gemacht. Wie sieht es mit den Aktionären aus, die nun die Twitter-Aktie haben? Werden auch sie in einem Jahr 250% verdienen?

Nun, um es kurz zu machen: Nein, das halte ich für ausgeschlossen.

Droht also ein Ausverkauf wie bei Facebook?

Ebenfalls nein. Auch das halte ich für ausgeschlossen.

Der Börsengang war in Ordnung, der Börsenwert von Twitter ist nun am oberen Ende der möglichen Bewertungsszenarien, doch Twitter dürfte relativ schnell in diese Bewertung hineinwachsen.
 

BÖRSENGANG IST EINE GROSSE UMVERTEILUNG

Um die Bewertung zu verstehen, müssen wir uns die Funktion eines Börsengangs näher anschauen. Ein junges Unternehmen wie Twitter ist immer wieder auf frisches Kapital angewiesen, um das Wachstum zu finanzieren. Da gibt es Private Equity Firmen, die mit dickem Portemonnaie entsprechende Summen einschießen. Diesen Investoren ist bewusst, dass sie kaum an das Kapital kommen, solange das Unternehmen noch nicht an der Börse notiert ist. Kasse gemacht wird also in der Regel durch einen Börsengang.

Je früher Investoren bei einem jungen Unternehmen einsteigen, desto größer das Risiko. Daher wird auch eine höhere Rendite erwartet. Twitter muss bei diesen Investoren die vielen anderen Investments, die nach hinten losgingen, mitfinanzieren. Unter einer Chance auf 100% kommen diese Privatinvestoren also nicht einmal für ein Gespräch vorbei.

Durch den Börsengang können nun also einige frühe Investoren Kasse machen. Der Großteil bleibt an Bord, wird aber aller Voraussicht nach in den kommenden zwei bis drei Jahren aussteigen. Aus Sicht von Private Equity Firmen geht es hier in erster Linie um die zeitliche Überlegung des Ausstiegs, nicht um einen günstigen Kurs. Denn ob man gegebenenfalls 30% mehr erhält oder nicht, ist nicht der Kern des Geschäfts – man sucht lieber wieder nach neuen 100%-Chancen im Bereich der privaten Unternehmensbeteiligungen.

Auf der anderen Seite gibt es Fonds und institutionelle Anleger, die Twitter gerne in ihrem Portfolio hätten. Diese reichen ihre Gebote für den Börsengang ein und werden in der Regel einen Teil ihres Wunsches erfüllt bekommen.

Dazwischen sitzt der Broker, der den Börsengang organisiert. Im Fall von Twitter war das Goldman Sachs. Die Goldmänner müssen den Preis für den Börsengang festsetzen. Dieser sollte so hoch sein, dass nicht alle Gebote bedient werden können, damit auch nach der Börseneinführung noch Nachfrage nach Aktien vorhanden ist. Wenn man Jedem eine Aktien gebe, der eine wünscht, würde der Kurs am ersten Handelstag ins Bodenlose fallen – wie übrigens bei Facebook passiert.

Die Goldmänner haben den Kurs auf 26 USD festgesetzt. Nun haben Fonds und institutionelle Anleger eine Anzahl von Twitter-Aktien erhalten, die in der Regel kleiner war als ihr Wunsch. Die Wunschgröße wird von professionellen Anlegern aber nicht aus der Luft gegriffen, sondern wird errechnet. Ziel ist in der Regel ein bestimmter Anteil am Portfolio. Die Differenz zwischen der IPO-Zuteilung und der Wunschgröße muss nun in den ersten Handelstagen hinzugekauft werden.

So eröffnete Twitter nicht bei 26 USD sondern über 40 USD. Die Nachfrage war groß und, anders als bei Facebook, ist auch heute noch, zwei Wochen danach, groß. Der Kurs konnte sich über 40 USD halten. Twitter bringt es somit auf die eingangs genannte Marktkapitalisierung von 24,5 Mrd. USD.
 

KURSPFLEGE DURCH GOLDMAN SACHS

Twitter hat am ersten Tag jedoch nur Aktien im Wert von 1,8 Mrd. USD in den freien Handel gegeben. Den Rest haben die alten Investoren behalten. Es ist nun die Aufgabe der Goldmänner, genau vorgegebene Aktienquoten in den kommenden Monaten in den Handel zu geben. Auf der einen Seite muss dabei der Aktienkurs berücksichtigt werden, auf der anderen Seite muss jedoch auch die zugesagte Anzahl an Aktien in den Handel gegeben werden.

Bei Facebook gab es, wie wir heute wissen, eine Reihe gieriger Investoren, die so schnell wie möglich raus wollten – ohne Rücksicht auf Verluste. Das Angebot an Facebook-Aktien stieg schneller als die Nachfrage, und so rauschte der Kurs um 50% in den Keller.

Bei Twitter hält sich Angebot und Nachfrage derzeit noch die Waage. Ich halte das für wichtig, insbesondere in den ersten Wochen, wo der Börsengang noch von vielen beobachtet wird, weil der Börsengang von Facebook viel Porzellan zerschlagen hat (Morgan Stanley & Nasdaq), was nun von Goldman Sachs und der NYSE gekittet werden soll.

In den ersten Wochen und vielleicht Monaten haben diese einfachen Rahmenbedingungen von Angebot und Nachfrage einen wesentlich stärkeren Einfluss auf die Kursbildung als etwaige Bewertungsansätze. Es gibt Investoren, die um jeden Preis verkaufen wollen. Und es gibt institutionelle Anleger, die um jeden Preis kaufen wollen. Je nachdem, bei wem der Leidensdruck gerade größer ist, wird die Aktie fallen oder steigen. Goldman Sachs kommt die wichtige Aufgabe zu, die Stimmung bzw. den Leidensdruck im Gleichgewicht zu halten.
 

BEWERTUNGSANSÄTZE: SPIELEN MIT DER ZUKUNFT

Es gibt unzählige Bewertungsansätze für Twitter. 534 Mio. USD Jahresumsatz mit 24,5 Mrd. USD Marktkapitalisierung zu belegen ist schon überaus mutig. Doch bei einem Umsatzwachstum von über 100% p.a. für die kommenden zwei bis drei Jahre gibt es für die Phantasie keine Grenzen.

Längst schon wird nicht mehr das aktuelle Geschäft von Twitter zugrunde gelegt, es werden auch nicht die Wachstumsraten extrapoliert (also in die Zukunft gerechnet), sondern es wird das Marktpotential bewertet. Mit den derzeit etwa 240 Mio. Nutzern kann Twitter nicht gegen Facebook angehen. Doch wenn Facebook mit einem so komplexen Angebot über eine Milliarde Nutzer anlocken kann, dann wird Twitter das sicherlich ebenso schaffen, so denken zumindest die meisten Investoren.

In zwei Jahren bei einer Millarde aktiver Twitter-Nutzer? Auch ich halte das für durchaus machbar.

Doch wie will Twitter damit Geld verdienen?

Nun, ganz einfach: Durch eingestreute Werbe-Tweets. Die gibt es heute schon. Es gibt auch gesponserte Tweets, an denen Twitter verdient. Bislang sind es nur Testballons, mit denen Twitter die Akzeptanz verschiedener Werbeformen testet. Doch ähnlich wie bei Facebook kann Twitter jederzeit den Schalter umlegen und die Nutzerschaft „monetarisieren" – also über Werbung zu Geld machen.

Was ist also ein Twitter-Nutzer wert? Ein Facebook-Kunde ist angeblich 174 USD wert. Setzen wir für einen wesentlich einfacher gestrickten, dafür aber aktiveren Twitter-Kunden einmal 100 USD an, so kommen wir auf eine Marktkapitalisierung von 100 Mrd. USD in zwei Jahren, wenn alles nach Plan verläuft.
 

MEINE ERWARTUNG: GEDULD WIRD SICH AUSZAHLEN

Heute ist Twitter noch keine 24 Mrd. USD wert – in meinen Augen. Ich hatte einen fairen Wert bei 17 Mrd. USD angesetzt und daraus resultiert mein worst-case-Szenario: Twitter könnte im Falle von schlechten Meldungen oder einem schwachen Börsenumfeld bis auf 17 Mrd. USD, also um 30% ausverkauft werden.

An der Börse darf man die Sachen nicht übertrieben intellektuell angehen. Gerade der einfache Bewertungsansatz, wie oben gezeigt, wird viele Anleger überzeugen und zum Kauf der Aktien bewegen. Ich rechne also nicht wirklich damit, dass die Aktie tatsächlich um 30% nachgeben wird. Ich rechne jedoch auch nicht damit, dass die Aktie schon bald einen Höhenflug in Richtung 100 US-Dollar startet, denn dazu ist das Risiko noch zu groß.
 

RISIKEN, DIE DEN KURS DRÜCKEN

Das Ziel von 1 Mrd. Twitter-Kunden in nur zwei Jahren ist ziemlich ambitioniert. Jede Meldung, die von dieser vorgegebenen Wachstumskurve negativ abweicht, wird einen Ausverkauf erzeugen. Und neue Zahlen werden nun quartalsweise geliefert, häufig genug also, um auch einmal die hoch gesteckten Ziele zu verfehlen.

Doch selbst wenn das Wachstum auf der vorgegebenen Wachstumskurve stattfindet, gleichzeitig muss Twitter Wege finden, die Kunden zu Geld zu machen. Die Werbe-Tweets sind ein guter Anfang, doch Anleger werden sehen wollen, wie häufig biese Werbe-Tweets eingestreut werden können, ohne die Akzeptanz von Twitter in Frage zu stellen. Facebook hat unlängst die Grenzen der Werbe-Einbindung aufgezeigt: Mehr als alle 15-20 Einträge könne man keinem Facebook-Kunden Werbung zumuten, so CFO Ebersmann vor drei Wochen. Wo wird diese Grenze bei Twitter liegen?

Und wie häufig werden Twitter-Nutzer twittern? Je häufiger, je intensiver also die Nutzung, desto mehr Werbung wird entsprechend wieder eingestreut werden können.

Hier hat jeder Analyst sein Modell und jedes Mal, wenn das Wachstum von seinem Modell abweicht, wird er Korrekturen vornehmen: Nach oben oder nach unten, je nachdem.

In meinen Augen liegt das größte Risiko darin, dass zum Börsengang so ziemlich alle Zahlen aufpoliert werden, das Management hängt sich in den Monaten vor dem Börsengang richtig rein, und irgendwann muss man auch mal verschnaufen. Selbst wenn die Zahlen in den kommenden Quartalen erreicht werden, so gibt es doch wenig Phantasie für positive Überraschungen.

Und bei einem Unternehmen ohne Gewinn und mit einem Kurs/Umsatz-Verhältnis von 40 wird jede auch noch so kleine Enttäuschung sofort bestraft.
 

FAZIT: WARTEN AUF DEN RICHTIGEN KAUFZEITPUNKT

Ich halte daher Twitter kurzfristig für ziemlich unberechenbar. Das Verteilungsspiel ist voll im Gange mit den Goldmännern am Steuer. Kann sein, dass die das ordentlich hinkriegen und die Aktie bei 40 USD (30 Euro) ihren Boden hat. Es gibt aber jede Menge unbekannte Risiken während die Chancen nach dem Marketing-Tsunami weitgehend bekannt sind.

Ich würde nun die ersten Monate abwarten, auch wenn Sie damit Gefahr laufen, die ersten Prozente der Twitter-Rallye zu verpassen. Es gibt in dieser Zeit bessere Kandidaten der Branche, die schon länger an der Börse sind, deren Geschäftsmodell bereits reifer ist und deren Geschäft bereits deutlich in das Bewertungsniveau hineingewachsen ist. Facebook und Yelp fallen mir da ein.

Wer nur einmal im Jahr Investmententscheidungen trifft, der kann sich heute schon mit Twitter eindecken, denn auf Sicht der nächsten Jahre wird Twitter sich einen Platz in unserer Gesellschaft sichern, und dieser Platz wird sich wunderbar zu Geld machen lassen.
 
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