Staatsschulden aus dem Ruder
Lassen Sie sich nicht Ihre Meinung von den Märkten diktieren. Ich habe diese Woche nun Unternehmen für Unternehmen analysiert, und ich komme zu dem Schluss, dass die Aktienkurse auf einem niedrigen Niveau stehen. Anders als 1987, als Computer einen Crash auslösten, steht das KGV der S&P Titel heute bei 20 (damals 40!).
Anders als 2001, als die Internetblase platzte, gibt es heute tatsächliche Umsätze und Gewinne.
Und anders als 2007 / 2008, als der gesamte Bankensektor praktisch insolvent war, haben die Banken heute eine wesentlich bessere Bilanz aufgebaut. Zusätzlich verfügen die Unternehmen heute über die größten Liquiditätsreserven aller Zeiten, sie sind also kaum abhängig von den Banken.
Und heute drohen weltweit Staaten Pleite zu gehen – insbesondere in den Industrieländern. Italien ist nun an der Reihe. Die Frage, die ich mir in den letzten Tagen immer wieder stelle, ist: „Wird Italien Pleite gehen?“ Denn wenn das Land zahlungsunfähig wird, dann sind die Auswirkungen schlimmer als durch die Lehman-Pleite.
Immerhin ist Italien die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Und das Verhalten der Politiker ist nicht gerade hilfreich:
Berlusconi stellt sich vor die Kameras und fragt: „Welche Krise?“, während Barroso bereits zwei Wochen nach der „endgültigen Lösung der EU-Schuldenkrise“ eine weitere Aufstockung des Hilfsfonds fordert. Kein Wunder, dass die Finanzmärkte bei einem solchen Hickhack nervös werden.
Immerhin bleibt Berlusconi sich selbst treu: Er hat nun die Ratingagenturen Moodys und S&P auf dem Kieker, diese Woche wurden deren Büros durchsucht und unzählige Unterlagen beschlagnahmt. Der Vorwurf: Durch gezielte negative Kommentare über die Bonität Italiens habe man die Märkte negativ beeinflusst.
Die Finanzmärkte, die den Zwang der Rating-agenturen inzwischen kennen, dass man eben Länder, die unter Beschuss sind, lieber früher abwertet als sich hinterher vorwerfen zu lassen, nichts getan zu haben, deuten diesen Gegenangriff als Verzweiflungstat eines greisen Ignoranten. Immerhin ist Berlusconi inzwischen 74 Jahre alt.
Im laufenden Jahr muss Italien noch 170 Mrd. Euro an fälligen Staatsanleihen refinanzieren. Der Zins, den die Italiener inzwischen zahlen müssen, ist mit 5,4% doppelt so hoch wie in Deutschland (2,6% für 10-Jahre laufende Staatsanleihen).
Barroso springt nun aufgeregt durch die Medien und fordert die Aufstockung des Hilfsfonds auf 1,5 Billionen Euro, eine Verdopplung. Hatte Merkel nicht kürzlich gesagt, dass wir keine weiteren Belastungen mehr zu fürchten haben? Unser Bundeskohl sagte dazu: „Die macht mir mein Europa kaputt“.
Das, was Ihren Autor dann wirklich auf die Palme bringt, sind diplomatische Analysen aus Paris, die den Deutschen nunmehr die Erreichung ihrer Ziele unterstellen: Durch den Rettungsschirm werden viele Länder Europas letztlich dem politischen (Spar)Willen Deutschlands unterworfen. Die Deutschen hätten, so die Analyse, ohne Krieg ihre Machtposition erfolgreich ausgebaut.
Wenn ich mich in Deutschland umschaue, dann finde ich nur Menschen, die eigentlich schon lange sagen: „Lasst uns doch einfach in Ruhe, wir wollen ohne europäische Streitereien vor uns hin arbeiten und unser System am Laufen halten.“ Von einem Machtstreben sehe ich da nichts, auch nicht bei Angela Merkel.
Wir sind hier in eine Position gedrängt worden (Merkel hat sich aufgrund ihrer Passivität drängen lassen), in die wir nicht hinein wollen.
Zur Beantwortung der Frage, ob Italien nun Pleite gehen wird, müssen wir uns also überlegen, wie lange Angela Merkel noch ihren Schlingerkurs weiterfahren kann, ohne das letzte Quantum Vertrauen in ihrer Bevölkerung zu verspielen. Wird der Rettungsschirm vergrößert, damit auch Italien noch drunter passt? Jeder Deutsche hätte dann 9.000 Euro Kredit an die EU- Schuldenstaaten vergeben. Oder zieht sie die Reißleine?
Vor zwei Wochen hat sich Frau Merkel mehr oder weniger bedingungslos für die EU ausgesprochen. Heute schon die Reißleine zu ziehen wäre ein ähnlicher Kurswechsel, wie sie ihn in der Atompolitik betrieben hat. Es wäre ihr politisches Aus.
Und nichts anderes ist maßgeblich für die Entscheidungsfindung populistischer Politiker.