Sparen allein wird die europäische Schuldenproblematik nicht lösen

CURT L. SCHMITT Informationsdienste
Veröffentlicht von CURT L. SCHMITT Informationsdienste am 01.12.2011
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Frankfurter Börsenbrief

Selbst wenn das EU-Vertragswerk tatsächlich geändert würde (was schwer genug sein wird), dann muss der Fokus neben dem Sparen auf eine Dynamisierung in der Wirtschaft gerichtet werden. Ohne Wachstum ist Sparen ein extrem mühsamer Prozess (über viele Jahre) mit kräftigen politischen Fliehkräften und hohem Frust-Potenzial. Von der Grundsubstanz hat Europa durchaus die Chance, längerfristig wieder eine Wachstumsstory zu kreieren. Die etwa 500 Mio. Einwohner, der immer noch sehr hohe private Wohlstand und das geistige Potential in Europa sind ein enormes Pfund, mit dem man sorgsam wuchern sollte. Es gilt, das Potenzialwachstum und damit die grundsätzliche Struktur der europäischen Wirtschaft neu zu definieren. Teilaspekte:


 

1. Ein natürliches Wachstumspotenzial ergäbe sich aus einem Anstieg in der arbeitenden Bevölkerung. Dies aber erfordert einerseits flexible Arbeitsmärkte und mittelfristig wohl auch weniger Sozialstaat. Je größer die Flexibilität, desto leichter können Angebotsüberhänge auf dem Arbeitsmarkt durch (niedrigere) Preise, also Löhne, ausgeglichen werden. Weiteres Teilstück dieser Betrachtung ist die demographische Entwicklung, worauf wir ja bereits in der letzten Ausgabe kurz eingegangen sind. Eine ungünstige Altersverteilung in einer Gesellschaft hat sehr reale Auswirkungen auf den Konsum und damit auf die aggregierte Nachfrage direkt, aber auch indirekt durch höhere Sozialversicherungsbeiträge usw. Hier hat Europa längerfristig wenig zu bieten. Die Arbeitsmärkte sind teils immer noch nicht flexibel genug. Von der Demographie her gibt es eher Gegenals Rückenwind. In den 27 Ländern der EU lag die sog. Gesamtfruchtbarkeitsrate im Zeitraum von 2004 bis 2009 zwischen 1,5 und 1,6 eindeutig zu wenig, um das Bevölkerungsniveau (ohne zusätzliche Immigration) zu halten.

2. Die zweite Säule im Potenzialwachstum ist der vermehrte Einsatz des Faktors Kapital, also konkret von Produktionsmaschinenund entsprechenden Anlagen. Dieser Anteil ist deutlich kleiner als der Beschäftigungssektor, birgt aber grundsätzlich eine besondere Chance. Besonders spürbar ist dies beispielsweise in Emerging Markets, wo sich durch den vermehrten Einsatz effizienter Produktionstechnik markante Produktivitätsverbesserungen und mithin ein anspruchsvolles Wirtschaftswachstum generieren lassen. Für umfangreiche Investitionen des Unternehmenssektors benötigt es indes eine Grundzuversicht für die Konjunkturentwicklung sowie natürlich auch das Kapital zur Finanzierung. Unternehmen sind derzeit üppig mit Kapital bestückt, was auch wichtig ist, denn von Bankenseite ist mit einer deutlichen Kreditverknappung in den kommenden Jahren zu rechnen. Der frühere UBS-Cheflenker Oswald Grübel bringt einen sehr entscheidenden Aspekt auf den Punkt mit seinem Statement, dass die Banken unter der Überschrift von Basel III faktisch zu einer Halbierung ihrer Bilanzen gezwungen sind. Asset-Verkäufe indes werden sich schwierig gestalten, wenn alle gleichzeitig durch die gleiche Tür wollen. Dies impliziert nämlich sehr schwache Verkaufspreise. Außerdem müssen die Banken den Käufern von Aktiva offensichtlich derzeit bereits auch gleichzeitig bei der Finanzierung unter die Arme greifen, sodass der wirkliche Entlastungseffekt viel mühsamer zu erzielen ist als man meint. Der Druck ist groß: Allein in 2012 werden europäische Bank-Anleihen im Volumen von etwa 700 Mrd. € fällig. Eine erhebliche Kreditklemme wird sich also kaum vermeiden lassen.

3. Der wohl wichtigste Hebel für die Gesamt-Faktorproduktivität ist damit wohl der technologische Fortschritt. Hier hat Europa mit vielen starken Unternehmen und hoher Sachkompetenz ein Ass im Ärmel, das es allerdings auch auszuspielen gilt. Zielwert der EU-Kommission für Forschung und Entwicklung per 2020 ist ein Budget von 3 % der Wirtschaftsleistung. Dies wird aktuell verfehlt. Gleichwohl wurde der Forschungsaufwand in 2010 erhöht. Weltweit wurde 9,3 % mehr in diese Richtung investiert, China und Indien ragen extrem positiv heraus mit einem Anstieg von 38,5 %. Nordamerika liegt ebenfalls über dem Durchschnitt mit 10,5 %. In Europa hingegen wurden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung nur um 5,8 % ausgeweitet. Deutschland investierte 8,9 % mehr und liegt mit einem Volumen von 38,6 Mrd. € auf der europäischen Poleposition. Bei allem Sparbedarf im Bezug auf Innovationen darf Europa nicht auf das Bremspedal gehen, sondern sollte erst recht Gas geben. 

 

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