Neue Regeln für unsere Märkte

Stephan Heibel
Veröffentlicht von Stephan Heibel am 27.05.2010
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

War’s das? Es würde wunderbar zu allem passen, was ich bislang gesagt habe. Doch ich bin inzwischen skeptisch geworden. Lassen Sie mich zunächst aufzeigen, warum es das gewesen sein KÖNNTE.


Neue Regeln für unsere Märkte - Ein Vorschlag Die EU steht hinter ihren Mitgliedern und hinter dem Euro wie eine Eins. Zwar gibt es immer wieder unterschiedliche Auffassungen, WIE man sich hinter die Südstaaten und den Euro stellen sollte, doch DASS man sich dahinter stellt, wird nicht in Frage gestellt. In Frage gestellt wird das nur von den Märkten. So wurde beispielsweise das teilweise Leerverkaufsverbot insbesondere in den USA als unkoordiniertes Vorgehen Deutschlands gewertet und man fürchtete, dass dies eine Vorbereitung auf ein „schlimmes Ereignis“ sein könnte, das kurze Zeit später folgen würde. Das ist nun zwei Wochen her und ein schlimmes Ereignis blieb aus. Mit jedem Tag, der ohne Hiobsbotschaft aus Europa verstreicht, werden die Chaospropheten nervöser und Mitte dieser Woche war es schließlich soweit, die Short-Positionen wurden eingedeckt und es folgte eine fulminante Rallye. Das Verbot der ungedeckten Leerverkäufe wird weithin stark kritisiert. Deutschland gehe unkoordiniert vor, Einzelaktionen brächten garnichts, heißt es landauf und landab. Ich sehe das anders: Die Märkte sind kaputt und wir brauchen neue Spielregeln. Ein Verbot von ungedeckten Leerverkäufen ist in meinen Augen sinnvoll, wenngleich auch ich mir eine internationale Koordination wünschen würde. Doch wenn diese nicht erreicht werden kann, dann ist Deutschland durchaus stark genug, mit einem Alleingang ein Zeichen zu setzen. Ich würde mir drei Maßnahmen wünschen: 1. Verbot ungedeckter Leerverkäufe. Anders als in den Medien dargestellt, haben fast alle EU-Staaten spezifische Gesetze und Regeln für Leerverkäufe. Insbesondere Frankreich, Spanien und Italien haben in verschiedenster Form teilweise entsprechende Verbote am Laufen; Deutschland ist aus dieser Perspektive eben nur nachgezogen. Eine Übersicht über die jeweiligen nationalen Regelungen wird von der EU angeboten und kann unter folgendem Link herunter geladen werden: http://www.cesr-eu.org/index.php?page=home_details&id=317 In England, dem wichtigsten Markt für Leerverkäufer in Europa, gibt es kein Verbot, lediglich eine Informationspflicht für Leerverkäufer. Es ist also in meinen Augen ein schwacher Vorwurf, Deutschland für das Verbot einiger ungedeckter Leerverkäufe an den Pranger zu stellen. Dennoch würde ich mir eine EU-weite Koordination in diesem Punkt wünschen, am liebsten natürlich sogar eine weltweite Koordination. Doch davon sind wir noch weit entfernt. 2. Einführung einer Uptick-Rule. In den USA wurde diese Regelung eingeführt, um den schnellen Ausverkauf einzelner Aktien durch Shortseller zu unterbinden. Wie ich vergangenen Freitag ausführte, brauchen Marktteilnehmer manchmal eben etwas Zeit, um sich auf veränderte Rahmenbedingungen einzustellen. Der Markt ist eine Aktion / Reaktions – Maschine. Und wenn einer Aktion gleich die nächste Aktion folgt, ohne Zeit für eine Reaktion zu geben, dann kann man bei vielen Aktien, ja bei ganzen Märkten ein momentanes Ungleichgewicht dazu nutzen, entsprechende Titel auf Null Euro zu drücken, was mitunter dann zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung führen könnte. Die Uptick-Rule besagt, dass ein Leerverkauf nur dann erfolgen kann, wenn der vorhergehende Kurs über dem vor-vorhergehenden Kurs liegt. Nach einem Kurseinbruch muss also erst einmal ein Käufer gefunden werden, der ein wenig mehr zahlt, als das aktuelle Niveau, bevor Leerverkäufer den Kurs weiter drücken können. Präsident Bush hat diese Regel abgeschafft, die Begründung lautete, es gebe ausreichend Liquidität, um diese Regel obsolet zu machen. Doch wie wir am 7. Mai beim Intraday-Ausverkauf von 10% im Dow Jones gesehen haben, wie wir diese Woche Montag bei Tagesschlussausverkauf gesehen haben, und wie wir gestern Abend beim einer 100-Punkte Rallye in die Schlussglocke hinein gesehen haben, ist eben nicht ausreichend Liquidität vorhanden, um Anlageentscheidungen großer Fonds kursschonend umzusetzen. Die heftigen Kursschwankungen der jüngsten Zeit haben nur eines zur Folge: Anleger, auch institutionelle Anleger, verfallen in eine Handlungsstarre und tun gar nichts. Wer soll es ihnen verdenken, wenn jede Entscheidung, die getroffen wurde, aufgrund der hohen Volatilität ein oder zwei Tage später schon als falsch dargestellt werden kann. Die heftigen Kursschwankungen im DAX und insbesondere im Dow Jones sind meines Erachtens auf den Vertrauensverlust der Anleger zurückzuführen. Es gibt keine ausreichende Liquidität. Marktteilnehmer trauen den Märkten nicht mehr. Bessere Regulierungen sind dringend erforderlich. 3. Verbot von Turbo-Bull und –Baer Zertifikaten. Warren Buffet bezeichnete diese gehebelten „innovativen“ Finanzprodukte als Massenvernichtungswaffen. Und er hat Recht! Spekulanten können hier mit einem Hebel Märkte bewegen, der viel größer ist als es die eigene Kapitalbasis erlauben würde. Zertifikate unterliegen gleichen Reserveanforderungen wie die Aktien selbst. Wenn Sie über einen Hebel von 10 eine bestimmte Anzahl von Aktien bewegen können, erlaubt es Ihnen ein Tubro-Bull oder Baer Zertifikat, mit dem gleichen Kapital das doppelte, teilweise das dreifache Volumen zu bewegen. Banken und Emissionshäuser betonen immer wieder, dass diese hochkomplizierten Finanzprodukte die Liquidität an den Märkten sicherstellen. Es bestünde eine entsprechende Nachfrage nach diesen „Absicherungsinstrumenten“ und man bediene nur die Nachfrage. Ich halte das für Augenwischerei, denn wenn Sie sich die teuren, bunten und mit Gewalt an den Mann gebrachten Werbebroschüren dieser Massenvernichtungswaffen anschauen, dann wissen Sie, wer die Nachfrage erzeugt: Die Emittenten selbst. Mit einem kleinen Kapitaleinsatz ist es Spekulanten möglich, über die Nutzung gehebelter Turbo-Zertifikate in kürzester Zeit einen Nachfrageschub oder Angebotsschub zu erzeugen, der bei fehlender Liquidität im Markt zu großen Kursausschlägen führt. Sowohl nach unten, wie am 7. Mai und am Montag Abend zu sehen, als auch nach oben, wie gestern Abend in den USA zu sehen. Der Vollständigkeit halber möchte ich noch eine vierte Forderung nennen, ohne sie an dieser Stelle auszuführen: Das Bankgeschäft und das Investmentgeschäft muss getrennt werden. Banken haben so einen legalen Informationsvorsprung, den keine chinesische Mauer verhindern kann und der sich stets zum Nachteil der Kunden (und hier meine ich nicht die Industrie, sondern institutionelle Anleger, die gemeinhin ebenfalls als Profis bezeichnet werden) auswirkt. Was ist eine Marktwirtschaft ohne funktionierende Märkte? Wir zerschießen uns gerade unsere Lebensgrundlage und schauen ängstlich zu, unfähig, die notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Eine internationale Koordination lässt sich augenscheinlich nicht umsetzen, der Druck oder die Angst ist offensichtlich noch nicht groß genug. Ein Vorpreschen Deutschlands in Sachen ungedeckter Leerverkäufe ist natürlich kurzfristig schädlich für die deutschen Märkte, ziehen doch entsprechende Anleger ihre Gelder binnen weniger Minuten auf Konten in anderen Ländern ab. Doch es ist ein Zeichen, dass Deutschland die Probleme erkannt hat und bekämpfen wird. DAS EIGENTLICHE PROBLEM: STAATSVERSCHULDUNG Wenn wir hier über die nicht funktionierenden Märkte sprechen, dann lenkt das wunderbar vom eigentlichen Problem ab: Die Überschuldung der Industrieländer. Japan, die USA, Großbritannien und die EU werden allesamt kaum ihre Schulden jemals zurückzahlen können. Es würde viele Jahre strikten Sparens erfordern, ein Weg, den die CDU nun offensichtlich einschlagen möchte. Auch Italien, Spanien, Portugal und Irland folgen dem Beispiel Deutschlands und kündigen heftige Einsparungen im Haushalt an. Kritik wird laut, dass dies genau der Fehler ist, den die USA 1929 begangen haben und damit die Weltwirtschaftskrise auslösten. Infolge dieses Fehlers wurde Keynes groß, der den Begriff „Deficit Spending“ prägte: In Zeiten der Konjunkturschwäche sollte gerade der Staat die Staatsausgaben nach oben schrauben, um die Konjunktur anzukurbeln. Was wir in Europa nun tun, ist genau das Gegenteil, nur damit wir ein selbst gestecktes Ziel (3% Neuverschuldung & 60% Gesamtschuld vom BIP) erreichen. Die Folge wird eine Abschwächung der gerade anlaufenden Konjunkturerholung sein. Alleine werden die Staaten in der EU diesen Kraftakt nicht schaffen, ohne eine Rezession zu riskieren. Und sollte das der Fall sein, so wird der Ruf nach einer noch lockereren Geldpolitik der EZB laut: Trichet wird einen enormen politischen Druck erfahren. Man wird ihm vorwerfen, zu Gunsten der Geldwertstabilität Massenarbeitslosigkeit und soziale Unruhen in Europa in Kauf zu nehmen. Vielleicht wird Trichet die Suppe gar nicht auslöffeln müssen, die er der EZB eingebrockt hat. Vielleicht kann er sich über die nächsten Monate retten und als Nachfolger wird derzeit Bundesbankchef Axel Weber hoch gehandelt. Dann würde das Weltbild wieder stimmen: Ein Deutscher an der Spitze der EZB wäre dann verantwortlich für die dem Volk unmoralisch erscheinende strikte Geldpolitik der EZB. Sie merken es: Statt mich über die fulminante Börsenrallye der vergangenen Tage zu freuen, zähle ich hier die Missstände unseres Finanzsystems auf. Bin ich verärgert, dass ich den Tiefpunkt der Krise diesmal nicht erwischt habe, um heftig zu Käufen zu raten? Oder habe ich einfach die Zeichen der Zeit nicht erkannt? Heute früh hatte ich ein langes Gespräch mit dem Charttechniker, der mich mit signifikanten Unterstützungen und Widerständen versorgt. Er war beseelt von der Tatsache, dass der DAX genau bei 5.700 Punkten gedreht hat, denn so ist der im März 2009 begonnene Aufwärtstrend noch intakt. Ein Unterschreiten dieser Unterstützung wäre sehr negativ und passt auch nicht in die von mir so oft beschriebene positive Ergebnissituation der Unternehmen. Eigentlich müsste ich nun milde lächelnd den zahlreichen Bären in meinem Umfeld zurufen: „Seht Ihr, ich hatte Recht“ – es folgt nämlich doch kein Double-Dip, keine Rückkehr zum Korrekturtief von Anfang 2009. Aber ich schreibe keinen Börsenbrief um Recht zu haben, sondern um möglichst fundiert über die Vorgänge an den Finanzmärkten zu berichten und um daraus (im folgenden Kapitel) möglichst lukrative Anlageideen abzuleiten. „Recht haben“ muss man höchstens an der Uni, nicht aber an der Börse. ÜBERBEWERTUNG KLEINER MELDUNGEN ZEIGT NERVOSITÄT Und daher möchte ich in die Analyse der aktuellen Situation einige weitere Geschehnisse einbeziehen. Neben den oben beschriebenen Marktunzulänglichkeiten, die dazu führen, dass Anleger, auch institutionelle Anleger, untätig abwarten oder alternativ Immobilien kaufen, haben einige Meldungen in den vergangenen Tagen meine Aufmerksamkeit erregt. So erinnern Sie sich sicherlich an das Vorhaben Australiens, Rohstoffkonzerne mit einer Sondersteuer zu belegen. Rohstoffmärkte und auch die Aktienkurse der Minengesellschaften sind daraufhin auf Tauchstation gegangen. Gepaart mit der Angst, Europa könne den weltweiten Konjunkturaufschwung abwürgen, reichte die Meldung aus Australien für einen Ausverkauf in diesem Sektor aus. Denn die Folgen sind leicht absehbar: Wenn Australien, ein Land mit gesunden Staatsfinanzen, ohne Not eine solche Steuer einführen kann, dann wird es nicht lange dauern bis Japan, die USA, Großbritannien und die EU ebenfalls diese Einnahmequelle für sich entdecken. Doch Anfang der Woche gab der CEO einer der großen australischen Mineninvestoren am Mittwoch ein Fernsehinterview, in dem er das politische System Australien etwas näher erklärte: Man solle nicht alles für bare Münze nehmen, die Politik komme in Australien sehr schnell mit solchen Vorschlägen und bis davon dann etwas umgesetzt würde, fließe noch viel Wasser den Darling-Fluss hinunter. Rohstoffpreise und auch die Aktien von Minengesellschaften gehörten zu den Gewinnern am Tag dieses Interviews. Wenn eine drohende Steuer in Australien die Weltbörsen so stark belasten kann, dann ist das für mich ein Zeichen dafür, wie nervös Anleger sind. Eine weitere Meldung wurde am Mittwoch Abend über die New York Times verbreitet: China prüfe seine Investments in Europa, hieß es da. Wenn China keine EU-Staatsanleihen mehr kauft, dann ist der Euro auch nichts mehr wert, war die schnelle Schlussfolgerung von Anlegern, und ehe Sie sich versahen, war der Euro von 1,235 auf 1,215 USD/EUR gerutscht. Schon in der gleichen Nacht kam das Dementi aus China. Solche Überlegungen gebe es nicht. Und es ist auch sofort offensichtlich, dass sich China mit einer solchen Meldung ins eigene Fleisch schneiden würde. Nicht nur, weil die Auslandsreserven abgewertet würden, sondern vielmehr auch, weil es damit rechnen kann, dass die EU im Umkehrschluss die Einführzölle für die Billigwaren aus China erhöhen würde. Wenn China unser Geld nicht mehr will, dann wollen wir deren Produkte auch nicht. Böswillig könnte ich nun darauf hinweisen, dass dieses Gerücht, so kurz es denn auch nur gewirkt hat, immerhin den Dow Jones nochmals unter 10.000 Punkte drückte und somit den short positionierten Hedgefonds kurz vor Monatsende nochmals die Gelegenheit gab, Gewinne zu sichern. Doch solche Behauptungen sind nur wieder Nahrung für meine oben aufgezeigte Theorie, dass wir keine Liquidität im Markt haben und dass es viel zu leicht ist, den Markt zu manipulieren. Der Markt funktioniert nicht. Fundamentalisten werden mir entgegen halten, dass solche Gerüchte keine Chance hätten, wenn die Finanzen der EU-Staaten solide wären. Und so solle ich nicht auf den Fehlern des Marktes herumreiten, sondern lieber die Fehler der EU-Staaten an den Pranger stellen. Doch ich denke, ich habe ausreichend über die zügellose Haushaltspolitik Griechenlands und anderer EU-Länder gewettert. Ich kann auch gerne in der Vergangenheit herumwühlen und aufzeigen, dass nur durch unseren ehemaligen Kanzler Schröder die Disziplin in der EU verloren gegangen ist. Er war es, der 2003 die Verletzung der Maastricht-Kriterien durch Deutschland in der Financial Times mit den Worten kommentierte, Deutschland lasse sich seine Finanzpolitik nicht von Brüssel vorschreiben. Ich könnte auch wieder auf der politisch motivierten Zusage unserer Kanzlerin Merkel herumreiten, Griechenland nicht im Stich zu lassen. Die Liste der Fehler ist lang. Ich komme zu dem Schluss, dass wir zu weit gegangen sind und die Schuldenkrise allein durch Sparen nicht mehr in den Griff bekommen werden. Doch wie kommen wir nun am geschmeidigsten aus dem Schlamassel wieder heraus? Nun, es muss nicht nur gespart werden, es muss parallel auch weltweit neue Finanzmarktregeln geben. Und da dies noch nicht in Sicht ist, erwarte ich nicht, dass die diese Woche begonnene Rallye uns durch den Sommer tragen wird. Näheres zu meinen Erwartungen gibt es wie immer im nächsten Kapitel.
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

Lettertest Newsletter

Gratis Probeabos, Rabatt Couponaktionen
Newsletter Umschlag