Kapitalflucht aus Europa

Stephan Heibel
Veröffentlicht von Stephan Heibel am 07.08.2014
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

Was wir in diesen Tagen sehen, hat nichts mehr mit einer Bewertung der Aktienunternehmen zu tun, es ist die strategische Entscheidung internationaler Anleger, ihr Kapital aus Europa abzuziehen. Entsprechend verkaufen große Fonds und ETFs europäische Aktien Tag für Tag, ohne Rücksicht auf Verluste. Jeder Ausverkauf hat irgendwann einmal eine Gegenreaktion. Nach 5-7% Kursverlust gibt es dann mal zwei oder drei Tage, in denen die Aktien wieder 2-3% nach oben laufen, bevor die nächste Abwärtswelle folgt. So war es zumindest in den vergangenen Jahrzehnten.


Diskussion über Zinsanhebung

Diesmal nimmt die Gegenbewegung bestenfalls 2-3 Stunden in Anspruch und führt die Aktien vielleicht ein halbes Prozent ins Plus, dann geht's wieder bergab. Es sind also nicht einzelne Aktionäre, die hier Verkaufsentscheidungen treffen, sondern größtenteils internationale Anleger, die eine strategische Entscheidung nunmehr konsequent umsetzen.

Das internationale Kapital strömt in die USA, die in diesen Tagen wieder mächtiger denn je erscheinen. Dort werden überwiegend Staatsanleihen gekauft. Die Kurse für US-Staatsanleihen steigen, die Rendite sinkt.

US-Notenbankchefin Janet Yellen hat bereits die Diskussion über Zinsanhebungen eröffnet, und bis vor wenigen Wochen befand sich das US-Zinsniveau im Aufwärtstrend. Doch die geopolitischen Ereignisse haben diese Bewegung umgekehrt: Statt der erwarteten steigenden Zinsen haben wir nun wieder eine Rekordnachfrage nach US-Staatsanleihen, die Rendite ist in den vergangenen Wochen von 2,75 auf nunmehr 2,42% gerutscht.

Natürlich sind auch die europäischen Anleger nervös. Sie verkaufen ebenfalls ihre Aktien, wobei auch hier erneut der Verkauf von ETFs, die häufig zur Spekulation verwendet wurden, am heftigsten ist und somit ganze Indizes ohne Rücksicht auf die Qualität der Einzeltitel in den Keller reißen. Geparkt wird das Geld dann in Staatsanleihen, wobei natürlich erneut die Bundesanleihen als Favorit gehandelt werden - die Umlaufrendite ist inzwischen auf das Rekordtief von 0,93% gerutscht - aber auch die jeweiligen nationalen Staatsanleihen sind gefragt. Der Zinsunterschied zwischen Italien und Deutschland ist extrem niedrig.

Dabei ist Italien gerade wieder in die Rezession gerutscht: Das zweite Quartal in Folge gab es nun ein negative Wirtschaftswachstum in Italien, und das ist die Definition für eine Rezession.
 

Portugal hat den Banco Espirito Santo aus eigenen Mitteln retten können

Aus dem EU-Rettungsschirm hatte man 6 Mrd. Euro für Notfälle beiseite gelegt. Davon wurden nun 5 Mrd. Euro für die Rekapitalisierung des Banco Espirito Santo verwendet. Prima, dass Portugal für solche Fälle einen Puffer hatte. Doch dieser Puffer ist nun aufgebraucht, und die nächste leichte Störung würde das Land wieder unter den Rettungsschirm jagen.

Derweil fürchtete die Welt in diesen Tagen, Russland könne sich die Ukraine einfach militärisch unter den Nagel reißen, oder zumindest die Ostgebiete. Was würden Europa und die USA entgegnen? Sicherlich keinen Krieg, eher weitere Sanktionen. Und nachdem die Sanktionen kürzlich erst seitens der EU und USA verschärft wurden, fürchtete man die Antwort Putins: Wird er nun einmarschieren? Das Gas abstellen? Flüge über Russland verbieten?
 

Die gute Nachricht: Putin redet noch mit uns

Er hat Gegensanktionen verabschiedet, die ich als Zeichen dafür betrachte, dass er weiterhin an Gesprächen interessiert ist. Hätte Putin bereits den festen Beschluss gefasst, in die Ukraine einzumarschieren, dann hätte er sich sicherlich nicht mit Gegensanktionen aufgehalten.

Mit dem Gas ist es übrigens gar nicht so einfach, wie mir ein Kunde mitteilte: Sollten die Lieferungen nach Europa gestoppt werden, kann Putin das Gas nur noch abfackeln. Es gibt keine Speichermöglichkeit, und die von mir letzte Woche vorgeschlagene Alternative, das Gas nach China umzuleiten, ist technisch erst in frühestens fünf Jahren möglich - und auch nur, wenn westliche Technologien gekauft werden dürfen. So leichtfertig wird er also die Lieferungen nicht einstellen.

Doch reicht das, um den Ausverkauf zu stoppen? Israel ruft nun nach den Deutschen, das angerichtete Chaos aufzuräumen, und Außenminister Steinmeier steht parat. Zeitgleich kündigt US-Präsident Obama Luftangriffe auf die IS-Gruppe im Irak an, um ein Genozid an den Kurden zu verhindern. Nie zuvor gab es so viele Kriege auf der Welt.

Da drängt sich mir die Frage auf, ob wir dominanten, westlichen Länder eine erfolgreiche Friedenspolitik betreiben. Ohne unsere Waffentechnologie gebe es in der Ukraine, in Israel und im Irak nur Scharmützel.

Wie schön war die Welt noch vor wenigen Wochen, als die US-Konjunktur an Fahrt gewann und den Rest der Welt mit sich zog: Chinas Zahlen wurden besser und Europas Wirtschaft stabilisierte sich.
 

Doch genug der Geopolitik, schauen wir auf die Finanzmärkte

Sprint hat die Gespräche über eine mögliche Übernahme der Telekom-Tochter T-Mobile abgebrochen, da kartellrechtliche Hürden nicht zu überwinden seien. Die Aktie von Sprint sackte um 17% ab, die Deutsche Telekom um 6%. Die Übernahme hätte neben AT&T und Verizon einen dritten Telekom-Giganten in den USA geschaffen, und das hätte höchstwahrscheinlich den Preiskampf der Branche beendet. Nun bleibt es beim Preiskampf, die Kunden gewinnen, und die Telekom-Unternehmen werden weiterhin geringe Gewinnmargen ausweisen. Aus Anlegersicht ist die Aufgabe der Gespräche also negativ.

Auch Rupert Murdoch hat sein Übernahmeangebot für Time Warner zurückgezogen. Time Warner war das Angebot nicht hoch genug, und statt nachzulegen, hat Murdoch der Konsolidierung auf dem US-TV-Markt einfach den Rücken gekehrt. Auch diese Übernahme wäre von Anlegern begrüßt worden, somit ist auch dies ein Rückschlag für die entsprechenden Aktien.

Wir haben diverse Quartalszahlen erhalten, und alle, die ich beobachte, haben positive Überraschungen veröffentlicht. Mehr Umsatz, mehr Gewinn und eine Prognoseanhebung. Die Aktienkurse dieser Unternehmen, beispielsweise Elmos Semiconductor, TAG Immobilien und Dialog Semiconductor liefen nachbörslich kurz in den grünen Bereich, um im Laufe des folgenden Handelstages unter dem Druck des breiten Ausverkaufs wieder ins Minus zu drehen.
 

"Jetzt" ist der Zeitpunkt, um langfristige Positionen aufzubauen

"Jetzt" können Sie Unternehmen mit gesundem Geschäft zu Schnäppchenpreisen erwerben. Doch Vorsicht: Schon fünf Minuten später wird Ihre Schnäppchenposition im Minus stehen und kein Mensch kann Ihnen derzeit sagen, wie tief die Kurse noch fallen werden.

"Jetzt" ist in diesen Tagen zu einem theoretischen Begriff geworden, der jeweils nach kurzer Zeit bereits wieder revidiert wird. Wer in den Ausverkauf hinein kauft, so wie das in den vergangenen fünf Jahren immer richtig war, der steht bereits nach fünf Minuten als Narr da. Es ist schwer, in dieser Situation die Nerven und den Weitblick zu bewahren: In 12-18 Monaten wird die Börse sicherlich deutlich höher stehen. Doch warum heute schon kaufen, wenn wir die Aktien morgen noch günstiger bekommen könnten?

...oder steht die Weltwirtschaft und damit unser Finanzmarkt auf tönernen Füßen? Sehen wir gerade den Beginn einer neuen Baisse, in der Europa zurück in den Krisenmodus gedrängt wird, wirtschaftliche Beziehungen zwischen der westlichen und der östlichen Welt eingefroren werden und die erzielten Fortschritte der vergangenen fünf Jahre zunichte gemacht werden?

Lassen Sie mich das Horrorszenario ausbreiten, damit wir wissen, wovor wir uns schützen müssen.
 

China greift durch

Auch China verschärft den Tonfall gegenüber den USA. Mit dem Gammelfreisch-Skandal wurden gerade zwei US-Unternehmen getroffen. McDonalds sowie Yum Brands (Pizza Hut, Taco Bell, Kentucky Fried Chicken) wachsen überwiegend in China. Wie durch einen unglücklichen Zufall hat der Gammelfleisch-Skandal gerade diese beiden Unternehmen getroffen, die Expansionsstrategie der beiden Restaurant-Ketten wurde dadurch um ca. anderthalb Jahre nach hinten verschoben.

Die chinesische Handelsbehörde hat in der vergangenen Woche mit ca. 100 Beamten Razzien in vier Microsoft-Büros vorgenommen, da das US-Softwareunternehmen nicht wie gefordert die Kommunikationsschnittstellen seiner Betriebssysteme offenlegt. Nachdem in China vor kurzem explizit vor Windows XP gewarnt wurde, weil das alte Betriebsystem nicht mehr gewartet wird, droht hier weiter Ungemach.

Diese Woche hat die chinesische Behörde bekanntgegeben, keine Macs und iPads von Apple zu kaufen, da diese Produkte ebenfalls nicht den Sicherheitsanforderungen entsprächen.

Natürlich erinnern wir uns an das Vorgehen gegenüber Google: Der Konzern wollte seine Suchlogik nicht im Sinne der chinesischen Zensur verbiegen und zog es schließlich vor, das Land zu verlassen.

Also: Globalisierung und Abbau der Handelsbeschränkungen kann ich nicht erkennen, im Gegenteil. Protektionismus erlebt eine neue Blütezeit. Durch den Ukraine-Konflikt verläuft der Protektionismus gegenüber Russland zumindest weniger subtil.

Als Volkswirt kann ich also kurz feststellen: Freier Welthandel ist gut für die Wirtschaft. Protektionismus ist kurzfristig sozial, mittelfristig jedoch schlecht für den Wohlstand. Wir dürfen uns also auf eine Zeit einstellen, in der insbesondere international ausgerichtete Unternehmen ihre Prognosen kürzen.

Schauen wir uns die Wochenentwicklung der wichtigsten Indizes einmal näher an:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

Die Weltbörsen werden ausverkauft

...Mit etwas Verzögerung hat es nun auch den japanischen Nikkei erwischt. In den USA halten sich die Aktienindizes überraschend gut. Das ist dem Run auf den US-Dollar und US-Werten geschuldet, denn kein anderes Land der Welt scheint die Geopolitik derzeit so gut im Griff zu haben wie die USA.

EZB-Chef Mario Draghi hat gestern verkündet, dass der europäische Leitzins unverändert bleibt. Die EZB bereite sich auf unkonventionelle Maßnahmen vor. Ungewöhnlich scharf kritisierte er die nachlassenden Reformbemühungen einzelner Länder, die nunmehr mit schwachen Konjunkturdaten zu kämpfen haben. Ohne die Länder nennen zu müssen ist es klar, dass er damit auf Italien und Frankreich abzielt.

Deutschland wurde von ihm einmal mehr als Musterknabe bezeichnet. Die Vorstoß Bundesbankpräsident Weidmanns, der für Deutschland Lohnsteigerungen von 3% forderte, lobte er als möglichen Weg, das europäische Ungleichgewicht zu verringern. Ich habe bereits 2010, zu Beginn der Euro-Schuldenkrise vehement stärkere Lohnsteigerungen für Deutschland gefordert. Schön zu sehen, dass nun weitere Konservative diese Erkenntnis teilen.

Der Goldpreis ist um 2,6% angesprungen. In den vergangenen Wochen hatte ich ja schon gefragt, warum das nicht längst passiert ist. Das Barometer für politische Spannungen schlägt nun endlich ebenfalls aus.
 

Bitte erwarten Sie nun nicht eine Einbahnstraße beim Gold nach oben

Viele Anleger haben nach wie vor viel Geld in Gold geparkt und sollten die Aktienkurse weiter abrutschen, dann wird irgendwann auch Gold verkauft werden, um Bargeld zu generieren. Ein Aufwärtstrend dürfte dadurch also immer wieder unterbrochen werden, ohne dass der Aufwärtstrend in Frage gestellt wird.

Der Ölpreis verläuft unentschlossen zwischen der Angst vor einer künstlichen Verknappung durch die Einstellung der Gaslieferung Russlands an Europa, das würde den Ölpreis in die Höhe katapultieren, und der Angst vor einem wirtschaftlichen Abschwung in Folge der jüngsten Sanktionen, das würde den Ölpreis nach unten drücken. Unter'm Strich bleibt die Bewegung des Ölpreises also moderat.

Ich denke nicht, dass der Ausverkauf bald beendet sein wird. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass Angela Merkel und Vladimir Putin miteinander telefonieren und die Situation entschärfen. Doch der Schaden für die Wirtschaft ist angerichtet, und zur Beendigung des Ausverkaufs fehlen noch ein paar Dinge.

Ich habe in Kapitel 04 eine Liste der Dinge aufgestellt, die für eine Beendigung des Ausverkaufs erfüllt sein müssen. Die langjährigen Leser des Heibel-Tickers kennen das von mir. Ich liste die Probleme auf, die gelöst werden müssen, bevor die Aktienbörse drehen kann. Es schützt uns davor, zu früh einzusteigen.
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