Europa spricht nicht nur deutsch, sondern demnächst auch französisch

CURT L. SCHMITT Informationsdienste
Veröffentlicht von CURT L. SCHMITT Informationsdienste am 19.04.2012
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Frankfurter Börsenbrief

Oder mindestens mit stark französischem Dialekt. Auch wenn der künftige Präsident in Frankreich noch nicht feststeht, wird der Kurs mit den beiden Top-Kandidaten Sarkozy und Hollande französischer und im französisch-deutschen Wechselspiel deutlich kantiger.


 

Aus dem deutschen „Sparmodell“ wird das französische „Tax & Spend“-Modell. Dieser Schwenk wird sich nicht im stillschweigenden Einvernehmen vollziehen, sondern mit Diskussionen, Indiskretionen, Diskrepanzen und mitunter auch Dissonanzen gepflastert sein. Aus deutscher Sicht mag das befremdlich erscheinen, aber es wird sich nicht vermeiden lassen. Zu stark sind die politischen Fliehkräfte (nach rechts und vor allem nach links), die sich aus einem zu harten Spardiktat ergeben. Dass sogar Deutschland nicht gefeit ist vor Fliehkräften, zeigt die Emanzipation der „Piraten“, die noch nicht einmal ein klares inhaltliches Programm brauchen, um zumindest in Umfragen zu punkten. Natürlich ist dies vor allem eine Protestbewegung des deutschen Wählers, aber es ist gleichwohl ein Signal für die politische Stabilität. Wohin geht die französische Reise?

Das gemeinsame Element von Sarkozy und Hollande ist eine Emanzipation gegen die deutsche Sparund Stabilitätspolitik. Umfragetechnisch liegt Hollande vor Sarkozy. Ähnlich wie Sarkozy strebt auch Hollande eine Reduzierung der französischen Staatsverschuldung an. Bis Ende der Legislaturperiode in 2017 soll die Verschuldung von etwa 85,8 % der französischen Wirtschaftsleistung in Richtung 80 % abflachen. Doch Hollande wird sich dieser Größe aus dem linken Spielfeld heraus nähern mit einer Neuverhandlung des Fiskalpaktes und generell einem stärkeren Fokus auf Ausgabenprogramme und Wachstumsstimulierung. Damit steht Frankreich vor einem Linksruck, übrigens demnächst auch getragen durch die Nationalversammlung. Die LinksaußenFraktion rund um Jean-Luc Mélenchon explodierte in der Wählergunst von 5 % noch vor zwei Monaten auf etwa 17 %. Darin liegt zweifellos ein markantes Störpotenzial, der Anleihenmarkt geht damit bisher aber gelassen um. Französische 10-jährige Staatsanleihen segeln im Bereich von etwa 2,8 bis 3 %, anders als ihre italienischen und besonders auch die spanischen Pendants, wo es in jüngerer Zeit markante Aufschläge gab.

Europa braucht nicht nur Sparsamkeit, sondern auch eine Wachstumsstory, um wieder privates Kapital in die Anleihenmärkte zu holen. Die Frage ist, mit welchem Tonfall und welcher Form man hierzu einen Konsens sucht. Dies ist umso wichtiger, wie die ersten Effekte durch die EZB-Liquiditätsflutung ausklingen. Internationale Investoren haben in einzelnen Märkten tendenziell Mittel abgezogen, die regionalen Banken, gestützt von der EZB, sprangen in die Bresche, haben aber eine begrenzte Kapazität (selbst inkl. der LTRO-Mittel). Gegen Ende Januar hielten internationale Anleger etwa 33 % der spanischen Staatsanleihen, was sich mit 44 % in 2010 vergleicht. Bei französischen Staatsanleihen sank der internationale Anteil von 71 auf 65 %, bei italienischen Staatsanleihen reduzierte sich der Anteil von 52 auf 49 %. Gerade bei angelsächsischen Anlegern kommt der rigide deutsche Sparkurs nur eingeschränkt gut an. Mehr Fokus auf Wachstum wäre also ein psychologisch wichtiges Moment. Kann die Politik hier nicht die erwünschten Weichenstellungen setzen, wird unweigerlich auch die EZB in den Fokus der französischdeutschen Diskussion kommen. Denn:

Im Hinblick auf die Euro-Konjunktur ist die EZB derzeit ein zahnloser Tiger. Mit den Staatsanleihenkäufen (Volumen etwa 214 Mrd. €) sowie den beiden Langfrist-Tendern (grob 1 Billion €) wurde die Bankenszene abgefangen und einzelne Anleihenmärkte maßgeblich stabilisiert, aber ein Wachstumsimpuls folgt daraus nicht. Denn der Liquiditätsschub kommt in der Realwirtschaft nicht an (s. dazu S. 7). Der Transmissionsmechanismus ist gestört, die Zinsschraube ohnehin fast auf Anschlag heruntergedreht. Gelingt es der Politik nicht, internationales Kapital mit mehr Wachstumsambitionen zurückzuholen, wird die EZB letztlich um weitere Anleihenkäufe nicht herumkommen, dann gegebenenfalls auch ohne gleichzeitige Liquiditätsabschöpfung. Sogar die Bundesbank müsste sich dann (zähneknirschend) beugen, denn ein Auseinanderbrechen des Euro wäre eine Art Genickschlag für die Bundesbank mit offenen Target-2-Forderungen gegen das EZB-System von zuletzt etwa 615,6 Mrd. €, was gegenüber dem Vormonat (!) einen Sprung von etwa 12,5 % bedeutet nach zuvor plus 9,8 %. Unterdessen verliert der Euro an Attraktivität als Reservewährung. Anteil der globalen Notenbankreserven nach IWF-Rechnung 25 % per Ende 2011 nach 26,7 % in Q2/2011. 

 

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