Börse vollzieht einen fundamentalen Wandel

CURT L. SCHMITT Informationsdienste
Veröffentlicht von CURT L. SCHMITT Informationsdienste am 08.09.2010
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Frankfurter Börsenbrief

Das Marktgeschehen hat sich in den letzten zehn Jahren drastisch gewandelt. Wir möchten Ihnen heute einen kleinen Blick hinter die Kulissen schenken, aber in diesem Zusammenhang aufzeigen, dass manches, was auf den ersten Blick neu und bedrohlich wirkt, in Wahrheit für Kapitalanleger von hohem Nutzen ist.


Waren am deutschen Parkett im letzten Jahr- hundert noch die ausländischen Anleger die maßgebliche Steuerungsvariante, sind es heute die Computer. In Deutschland werden rund 40 % aller Orders nicht mehr durch Händler aus Haut und Haaren ausgelöst, sondern durch Cyber-Trading-Programme. In den USA liegt der Anteil sogar schon bei über 48 %. Diese scheren sich wenig um Bewertungen, Gewinne oder sonstige Fundamental-Daten. Die technisch orientierten Algorhythmen lernen stetig dazu, um Signale noch früher zu erkennen. Gegen die ausgefuchsten Profisys- teme haben die vielen kleinen Privatanleger mit ihren Neuronalen Netzen, die noch in den 90er Jahren den Markt zu revolutionieren schienen, keine Chance mehr. Warum? Geschwindigkeit ist das Credo der Zeit. Orders werden an den elektronischen Börsen inzwischen schon in 200 Millisekunden (ein Millisekunde = eine Millionstel Sekunde) ausgeführt. Positionen werden in der Regel nur wenige Sekunden gehalten und spie- len somit meistens für die eigentliche Tagestendenz keine Rolle. „Meistens“ heißt, dass hin und wieder doch gravierende Einschnitte in das Börsengesche- hen eintreten. Am 6. Mai rauschte der Dow Jones innerhalb sechs Minuten bei einem „flash crash“ um knapp 1.000 Punkte oder 9 % in die Tiefe. Schuld war eine Kaskade aus Logarhythmen, die sich selbst verstärkte und in eine Abwärtsspirale mündete. Ähn- liches lösten Deutsche Bank-Computer nur drei Wo- chen später in Tokio aus. In der Presse wird dann häu- fig von „Fehleingaben“ oder ähnlichem gesprochen. Die Frequenz solch erratischer Bewegungen wird in Zukunft noch zunehmen, so unsere Prognose. Der Privat- anleger muss umso wachsamer sein: Börse bleibt ein Haifischbecken. Nicht nur für Kleinanleger. Auch die großen Spieler am Markt bekämpfen sich bis auf‘s Blut. Die amerikanische Börsenaufsicht überprüft gerade, ob Marktteilnehmer durch eine Über- flutung der Börsen mit „Dummy Orders“ Nachteile erwuchsen. Was steckt dahinter? Einige Trader stehen im Verdacht, massenhaft Orders in die Systeme eingespeist zu haben, nur um sie wenige Millisekunden später zu stornieren. Dadurch wird es anderen Händlern verwehrt, Kauf- oder Verkauforders anzunehmen, sie wer- den blockiert. Außerdem sollen die Computersysteme der Konkurrenten ausgebremst werden, die nicht über so leistungsfähige Datenverarbeitungssysteme verfügen. Die Computer rechnen sich an den falschen Orders (bis zu 5.000 pro Sekunde!) „zu Tode“ und können in der Zeit nicht handeln. Durch dieses „quote stuffing“ wird zudem Marktteilnehmern ein höheres Handelsvolumen vorgegaukelt als tatsächlich vorhanden, was zu falschen Rückschlüssen über das Marktgeschehen führt. Viele technische Indikatoren arbeiten sehr stark mit Volumenkomponenten. Aus unserer Meinung ist die Fehlallokation - wie schon bei der Subprime-Verbrie- fungsproblematik - vom Finanzsystem selbstverschuldet: Die großen Handelshäuser haben sich ihr eigenes Grab geschaufelt. Im Bestreben nach immer niedri- geren Kosten, der Vermeidung von Courtage-Zahlungen oder sonstigen Provisionen wurden in den letzten Jahren immer mehr Orders in den USA wie auch in Europa entweder internalisiert (Orders zwischen eigenen Kunden zusammengeführt und gar nicht erst an die Börsen geleitet) oder auf alternative Handelsplattformen wie Chi X geroutet. In den USA gibt es etwa 30 davon. Diese lockten mit dem Versprechen niedriger Kos- ten und vor allem absoluter Anonymität der Orders und der Marktteilnehmer. Diese werden deshalb auch „Dark Pools“ genannt. Über sie liefen zeitweise 80 % der Handelsumsätze über diese Dark-Pools, die sich theoretisch nach der Kursstellung der großen Börsen wie NYSE und Nasdaq richten, aber die Kurse erst nach dem Trade veröffentlichen. Was viele bei ihrer Suche nach immer billigerer Abwicklung nicht bedachten: Der moral hazard sorgt in den großen Depots für heftige Friktionen. So wurden in der Vergangenheit an diese wenig beaufsichtigten Handelsplätze ebenfalls Mammutorders von den High Frequency Traders geleitet. Die dortigen Systeme konnten die Order für Sekunden nicht verarbeiten. In der Zwischenzeit wurden an den anderen Plätzen dadurch Arbitrage Gewinne realisiert. Wie geht der Anleger mit diesem veränderten Börsen- umfeld um? Müssen wir uns Sorgen machen? Nein, im Gegenteil! Sie können das Treiben der Trader getrost ignorieren. Das Volumen wird aufgebläht. Short und Long halten sich bis auf die wenigen angedeuteten Ausnahmen die Waage. Mit solchen Flash Crashs werden wir in Zukunft schlicht leben müssen, oder sie als Chance für außergewöhnliche Begriffe begreifen. Es spricht nichts dagegen, eine Kauforder für den Dow Jones mal 800 Punkte tiefer in den Markt zu legen. Daraus kann ein ganz erklecklicher Gewinn entspringen. Für den Privatanleger überwiegen die Vorteile. Börse ist ein Prozess des Wandels. Die 90er Jahre gehör- ten den High Tech-Freaks. Wir erinnern uns an die Exzesse um Nasdaq und Neuer Markt. Die letzten 10 Jahre den Hedgefonds, die so oft als Heuschrecken diffamiert wurden. Sie waren ebenfalls ein Segen, weil sie den Vorständen genau auf die Finger schauten und Druck machten, wenn das Geld nicht im Sinne einer Fehlallokation renditeträchtigen Objekten zugeführt wurde. Natürlich gab es auch Auswüchse, die anzupran- gern waren. Unterm Strich sorgten die Hedgefonds, die sich - wie wir beobachten - immer stärker aus dem Markt zurückziehen und den High Frequency Tradern das Feld überlassen, aber für hohe Liquidität (starkes Handelsvolumen) und damit fairere Kurse. Genau diese Aufgabe kommt jetzt den Handelssystemen zu. Die öffentliche und gerade politische Wehklage wird in den nächsten Jahren natürlich anschwellen, der Ruf nach Regulierung, weil Politik diesen fundamentalen Zusammenhang noch nie verstanden hat. Denn gerade die High Frequency Trader sorgen dafür, dass es solche Flash Crashs nicht noch häufiger gibt. Am 6. Mai hatten sie sich wegen der scharfen Bewegung zurückgezogen. Das entzog dem Markt Liquidität, so konnten die Computer den Markt ungestört in den Keller fahren. Wir freuen uns über die neue Generation und geden- ken, aus der Entwicklung erhebliche Profite mit Ihnen zu ziehen. Wichtig für Sie: Behalten Sie das Heft des Handels in der Hand! Trotz der Erosion der Kurse am 6. Mai verbietet sich der Handel in den USA keinesfalls. Dort sind die Börsen und Handelsplattformen nämlich verpflichtet, Orders an den Markt weiterzuleiten, der bessere Kurse bietet. Das heißt, dass sich dem Anleger sogar noch Arbitrage- Möglichkeiten eröffnen. Das ist natürlich theoretisch, da die wenigsten so schnell handeln können. Wem diese Entwicklung dennoch Unbehagen bereitet, kann sein Kapital auch noch stärker in die asiatischen Märkte transferieren. Dort sind die Handelsplätze zentralisiert, die Rechenzentren auf Grund heimischer Technologie auf dem neuesten Stand und in der Lage, auch große Datenmengen zu verarbeiten. Der Anteil der computer- gestützten Orders liegt im einstelligen Bereich. Die Emerging Markets gehen also nicht nur aus der Finanzkrise wegen ihrer niedrigen Verschuldung, hohen Devisenreserven, robusten Wachstumsraten und niedrigen Bewer- tung gestärkt hervor. Die Plätze werden auch aus technischer Sicht noch mehr Kapital anziehen. Achtung: Deutschland deswegen bitte nicht abschreiben. Der High Frequency-Handel betrifft in der ersten Linie den Future Markt und hier vor allem DAX und Bund Future. Daraus über Arbitrage abgeleitet auch noch die DAX Unternehmen. Schon ab dem MDAX-Segment kann sich kein Händler leisten, hohe Volumina einzustellen. Entsprechend ist dieser Markt wieder besser rechenbar und wird zudem liquider.
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