Zwölf schwere Börsenjahre

Stephan Heibel
Veröffentlicht von Stephan Heibel am 03.03.2012
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

Mitte Dezember ist Angela Merkel aufgewacht. Von ihrer Strategie des Trostpflasters und der Verschiebungstaktik schwenkte sie über Nacht um auf den harten Kurs der Realität: Eine Fiskalunion muss die Richtung sein, in die sich die EU entwickelt. Ich habe diesen Stimmungswechsel hier im Heibel- Ticker umgehend und seither vielfach als richtungsweisend für die Finanzmärkte herausgestellt, und tatsächlich haben sich die internationalen Börsen seither nicht mehr umgeschaut – es ging steil nach oben.


 

Kurz danach hatte der neue EZB Chef Mario Draghi seine LTRO

(Long Term Refinancing Operation – langfristige

Refinanzierungsoperation) bekanntgegeben und ermöglichte es

Banken, sich unbeschränkt zu günstigen Konditionen auf drei

Jahre zu refinanzieren. Die unmittelbare Folge von der ersten

Runde im Dezember war das Austrocknen von Verkaufsorders an den

Börsen. Banken waren nicht mehr gezwungen, ihre Aktienbestände

zugunsten einer Aufstockung des Eigenkapitals zu verscherbeln,

und so begannen die Kurse zu steigen.

 

Diese Woche gab es die zweite und letzte LTRO-Runde. Erneut

wurde eine halbe Billion Euro an Krediten aufgenommen. Kapital,

das nicht unmittelbar in die Wirtschaft fließen wird, aber

Kapital, das die angespannten Bilanzen vieler Finanzinstitute

aufbessern wird und dadurch eine Normalisierung der

Kapitalmärkte mit anschließend ansteigender Kreditvergabe zur

Folge haben wird.

 

Mitte September stand der DAX unter 5.000 Punkte. Euroland war

am auseinanderbrechen, insbesondere da es zu diesem Zeitpunkt

keinen Politiker gab, der sich des Ernstes der Lage bewusst

schien. Heute steht der DAX 2.000 Punkte (40%!) höher, und 25

der 27 EU-Länder haben sich soeben einer härteren

Schuldenkontrolle verschrieben. Schuldenbremse, automatische

Defizit-Verfahren und die Notwendigkeit einer Mehrheit, um ein

solches Verfahren zu stoppen. Sensationell!

 

Sensationell! Ich muss ehrlich gestehen, dass ich eine solche

Wendung nicht mehr erwartet hatte. Sie werden sich daran

erinnern, wie ich im vergangenen Herbst gewettert habe wie ein

Rohrspatz, weil diese so offensichtlich sinnvollen Ziele so

unerreichbar schienen.

 

So sind wir heute wieder in der Lage, gute Meldungen mit

Kursanstiegen zu begrüßen und schlechte Meldungen mit einem

Ausverkauf.

 

Diese Woche hat Aixtron schlechte Zahlen geliefert. Nichts

Überraschendes, wie Sie in meinem TV-Interview vom Vortag

nachlesen können, aber dennoch war es ein Augenblick der

ungeschminkten Realität für Aixtron-Aktionäre, die klipp und

klar gesagt bekamen, dass die Bodenbildung in der Branche noch

lange andauern werde. Im Jahr 2012 dürfe man, wie bereits

mehrfach angekündigt, nicht mit einer Besserung rechnen.

 

Aixtron fiel um 15%, um sich anschließend wieder in Richtung

der 13 Euro zu bewegen, die ich bereits im vergangenen Sommer

als fairen Wert ermittelt hatte.

 

Heute hat SMA Solar bekannt gegeben, dass der Umsatz im

laufenden Jahr tatsächlich aufgrund der Beschleunigung der

beschleunigten Solarförderkürzung dramatisch einbrechen werde

und dass dieser Einbruch nachhaltig sei. Das Unternehmen müsse

100 Mio. Euro investieren, um das Auslandsgeschäft auszubauen,

um dadurch gegebenenfalls zu einem späteren, noch nicht genau

terminierten Zeitpunkt wieder auf den Wachstumspfad

zurückzukehren.

 

SMA Solar steht aktuell mit 4,5% im Minus, doch hier fürchte

ich noch eine Fortsetzung des Abwärtstrends in den nächsten

Tagen.

 

Gleichzeitig überlegt die Bundesregierung, die Energiewende

statt mit Fördermitteln lieber doch durch (für die Regierung

kostenfreie) Vorschriften zu erzwingen. Wir haben einen Wert in

unserer Beobachtungsliste, der von dieser Entwicklung

profitiert – egal ob das Geld aus Fördertöpfen kommt oder aus

dem Portemonnaie der Hauseigentümer. Die Aktie sprang diese

Woche um 10% an.

 

Apple hat die 500 Mrd. US-Dollargrenze an Marktkapitalisierung

überschritten. Der Nasdaq war am Mittwoch für einige Sekunden

über die 3.000 Punkte Marke gesprungen. Es folgte eine Rede von

Ben Bernanke, in der er sich NICHT eindeutig zu einer dritten

Runde der Liquiditätsflutung bekannte (QE3). Nach den heftigen

Kursgewinnen seit Mitte Dezember ist es da kein Wunder, wenn

Anleger dies zum Anlass nehmen, einige Gewinne zu realisieren.

 

Seit November 2000 notierte der Nasdaq nicht mehr über 3.000

Punkten. Sie erinnern sich: Die Internetblase hatte den Index

Anfang 2000 sogar über 5.000 Punkte katapultiert, um in den

folgenden zwölf Monaten auf 1.200 Punkte einzubrechen. Von

diesem Schock hat sich eine ganze Anlegergeneration nicht

erholen können. Erst heute, zwölf Jahre später, nimmt der

Nasdaq wieder Anlauf, um die erlittenen Verluste vielleicht

irgendwann wieder auszugleichen.

 

Ja, zwölf Jahre ist das her. Ich hatte damals geschrieben (ja,

so lange schreibt Ihr Börsenschreibel schon Börsenbriefe), dass

wir uns auf eine schwere Dekade für die Börse einstellen

müssen. Nun, es sind zwölf Jahre geworden ... und die vielen

Probleme unserer Welt und Finanzbranche sind in aller Munde.

 

Doch eine negative Stimmungslage ist eigentlich etwas

Positives. Die Probleme sind bekannt, und seit vergangenem

Dezember gibt es sogar brauchbare politische Reaktionen. Ich

habe mir daher einmal wieder alte Werte angeschaut. Dinge, die

in den Neunzigern analysiert wurden, um sich über den

„Gesundheitszustand“ der Aktienbörse zu informieren.

 

Bewegen sich die Aktienkurse mit der Masse oder können

individuelle Meldungen auch individuelle Kursreaktionen

hervorrufen? Nun, wie oben gezeigt, gibt es wieder individuelle

Reaktionen auf Meldungen, was als gesund betrachtet wird.

 

Gibt es einen Leithammel? Nun, an der Nasdaq ist das wohl

eindeutig Apple. Die Aktie kriecht kontinuierlich höher und

höher. Kurzzeitige Rückschläge werden sofort zum Kaufen

genutzt, und die Aktie läuft wieder über ihr voriges

Allzeithoch hinaus. Wäre Apple ein Unternehmen mit nur 50 Mrd.

Marktkapitalisierung, dann hätte die Aktie wohl über Nacht

einen Sprung von 50% gemacht (auf 450 Euro). Als größtes

börsennotiertes Unternehmen der Welt braucht es einige Monate,

bis dieser Sprung vollzogen ist.

 

Übrigens ein weiterer Schlag ins Gesicht der

volkswirtschaftlichen Annahme der perfekten Märkte an den

Börsen.

 

Steigen viele Aktien verschiedener Branchen an oder handelt es

sich nur um eine kleine Randgruppe, die davonzieht? Nun, neben

der Techbranche mit SAP, Apple, Salesforce.com und EMC hat auch

die Finanzbranche wieder das Laufen gelernt. Schauen Sie sich

mal die Erholung bei der Deutschen Bank und der Commerzbank an.

Selbiges ist auch bei den meisten europäischen Wettbewerbern zu

sehen.

 

An die guten Meldungen aus der Automobilbranche haben wir uns

schon gewöhnt. Dort werden eine ganze Reihe von Zulieferern

mitgezogen, was Zulieferer wie Leoni, Continental,

Elringklinger, Bertrandt und Fuchs Petrolub zu deutlichen

Kursanstiegen verholfen hat.

 

Und wissen Sie, was noch bullisch ist? Unternehmen wie die

Deutsche Telekom, E.On, Fresenius Medical Care und Metro stehen

am unteren Ende der Performanceliste der vergangenen Monate.

Unternehmen, die über ein „reifes“ Geschäftsmodell verfügen und

ihre Kunden melken, um eine ordentliche Dividende auszahlen zu

können, werden ausverkauft. Anleger verlassen diese

vermeintlich sicheren Häfen um sich den risikobehafteten

Chancen der Wachstumsunternehmen zuzuwenden. Das ist gesund!

 

Gibt es denn noch genug Liquidität, um diese Rallye

weiterlaufen zu lassen? Nun, ich würde sagen, dass der Abschied

aus den wachstumsarmen und dividendenstarken Titeln erst der

erste Schritt ist, Liquidität in Wachstumstitel zu steuern. Der

zweite Schritt wird sein, dass Kapital von den unattraktiven

Staatsanleihen abgezogen wird. Wer will sich denn schon mit

1,5% pro Jahr Zinsen zufrieden geben, wenn viele Aktien so

einen Sprung an einem Tag machen? Da ist noch eine Menge

Kapital, das an die Aktienbörse strömen kann.

 

Zwölf Jahre hält der Trend nun an, dass Kapital aus dem

Aktienmarkt in den Rentenmarkt umgeschichtet wird. Dieser Trend

dürfte meines Erachtens bald zum Erliegen kommen und sich bald

darauf umkehren.

 

Und last but not least: Ist die EZB auf der Seite der Anleger

oder nicht? Ein Leitzins von über 4% wird einer restriktiven

Geldpolitik zugeschrieben, darunter gilt sie als locker. Eine

lockere Geldpolitik ist bullisch für die Aktienmärkte.

 

Unser Leitzins steht bei 1%, also so niedrig wie noch nie.

Darüber hinaus hat die EZB diese Woche nochmals eine halbe

Billion an günstigen Krediten in den Markt gegeben (LTRO).

 

Wundern Sie sich also bitte nicht, dass die Aktienkurse

steigen. Wir haben hier einige sehr kräftige Trends am Werk,

die nicht von heute auf morgen abreißen. Klar, eine

militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Iran

würde die Kurse in den Keller reißen – doch nur kurzfristig und

als Kaufgelegenheit. Die Trends würden dadurch nicht umgekehrt.

 

Und nach 40% Kursplus im DAX binnen sechs Monaten würde es auch

reichen, wenn Angela Merkel einmal wieder mit dem falschen Fuß

aufsteht und Abstriche bei der Umsetzung der Fiskalunion

zulässt. Doch der Gesundheitszustand der Finanzmärkte ist heute

so gut wie seit vielen, vielen Jahren nicht mehr.

 

Auch wir im Heibel-Ticker bekommen ein Problem auf hohem

Niveau, an das sich viele von uns sicher kaum noch erinnern

können: Man kann derzeit kaum die falsche Aktie kaufen, man

kann höchstens zu lange warten, bis man sich für einen Kauf

entscheidet und läuft in dieser Zeit Gefahr, dass der Kurs

wegläuft. Wann haben Sie zuletzt dieses Problem gehabt?

 

Der Markt gibt Ihnen eine Chance, Fehler zu korrigieren. Anders

als im August 2011, als Sie nach einem Kauf nur jeden Tag

zusehen konnten, wie das Minus größer wurde. Heute, im Jahr

2012, kann es passieren, dass Ihre Aktie nicht mitläuft – und

dann verkaufen Sie halt und schichten um, meist ohne

nennenswerte Verluste.

 

7.000 DAX-Punkte sind in Reichweite, und wenn ich mich umhöre,

dann bekomme ich den Eindruck, dass viele Anleger auf dieses

Niveau warten um diesmal nicht mehr den gleichen Fehler zu

machen wie schon Anfang 2000 und nochmals im Jahr 2007 und

nochmals Ende 2010: Jeweils war der DAX über 7.000 Punkte

geklettert, um wenige Monate später dramatisch einzubrechen und

alle Kursgewinne auszuradieren.

 

Irgendwann hat es auch der Letzte gelernt, dass die Börse keine

Einbahnstraße ist und nimmt Gewinne mit, steckt sie für sein

Altenteil in Staatsanleihen. Und genau das ist der Nährboden

für eine anhaltende Rallye. Optimisten werden an der Börse

derzeit als Irre abgetan.

 

 

Also: Aus längerfristiger Perspektive sind die Aktienmärkte

derzeit gesund. Rückschläge, die nach 10 Wochen

kontinuierlicher Kursgewinne immer passieren können, sollten

also zum Kaufen genutzt werden.

 

Ich denke, diese Erkenntnis wird im Frühjahr auch bei den

anderen Marktteilnehmern dämmern, sodass es, wie meistens, im

Sommer zu einer Verschnaufpause kommen kann. Für unsere

Beobachtungsliste werden wir also in den kommenden Wochen

vorzugsweise sehr kurzfristige Spekulationen eingehen, um dann

im Sommer ausreichend Liquidität für strategische Käufe zu

haben.

 

Schauen wir einmal, wie sich die einzelnen Indizes diese Woche

entwickelt haben:

 

 

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

 

 

INDIZES               01.03.12 DIFF

Dow Jones              12.980       0,0%

DAX                     6.942       1,9%

Nikkei                  9.777       1,3%

Euro/US-Dollar          1,328      -0,7%

Euro/Yen             108,3325       0,5%

10-Jahres-US-Anleihe     2,04%      0,1

Umlaufrendite Dt         1,49%     -0,1

Feinunze Gold USD   $1.714,90      -3,6%

Fass Brent Öl USD     $127,04       2,5%

Kupfer in US$/to        8.632       3,2%

Baltic Dry Shipping I     763       8,1%

 

 

Der Goldpreis ist eingebrochen. „Schuld“ daran war Ben Bernanke

mit seiner Ansprache in Washington. Doch Bernanke wurde in

meinen Augen falsch verstanden, wie ich in Kapitel 06 im Update

zum Gold darlege.

 

Öl und Kupfer hingegen sind weiter auf dem aufsteigenden Ast.

Beim Öl sorgen die Spannungen zwischen Israel und dem Iran

weiterhin für diesen Trend. Das Kupfer bewegt sich noch immer

im Rahmen einer breiten Seitwärts-Handelsspanne und zeigt damit

noch keinen signifikanten Ausbruch nach oben an.

 

Schauen wir einmal, wie sich die Stimmung unter Anlegern und

Analysten entwickelt:

 

 

SENTIMENTDATEN

 

Analysten

Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen):

 

Kaufen / Verkaufen

10.02.- 17.02. (302): 48% / 11%

17.02.- 24.02. (251): 49% /  9%

24.02.- 02.03. (215): 42% / 12%

 

Kaufempfehlungen der Analysten

Volkswagen VZ, BASF, Gerry Weber

 

Verkaufsempfehlungen der Analysten

Bouygues S.A., Nordex, Praktiker

 

Privatanleger

07. KW: 70% Bullen (130 Stimmen)

08. KW: 67% Bullen (131 Stimmen)

09. KW: 70% Bullen (134 Stimmen)

 

Kaufempfehlungen der Privatanleger

Alcatel-Lucent, Vivendi, Ipsen

 

Verkaufsempfehlungen der Privatanleger

Q-Cells, Broadvision, Veolia Environment

 

Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise

erstellt:

http://www.sharewise.com?heibel

 

 

Sie wollen wissen, was die Analysten im Einzelnen für Aussagen

treffen und wo sie die größten Chancen sehen? Ich habe für Sie

ab sofort jede Woche eine Übersicht der Analysen mit den

höchsten Kurszielen ausgearbeitet. Die Liste zeigt ganz einfach

an, wo das aktuelle Kursziel des Analysten prozentual am

meisten über dem aktuellen Kurs liegt:

 

Firma   Analyse vom   Kurs    Ziel    Upside

MORPHOSYS  01.03.    18,25€  35,00€   +91,78%

GFT TECHN  01.03.     3,17€   5,00€   +57,73%

COMMERZBK  28.02.     1,97€   2,80€   +42,13%

ADIDAS AG  29.02.    46,80€  66,00€   +41,03%

Kabel Dt.  28.02.    45,01€  63,00€   +39,97%

XING AG    02.03.    49,37€  68,00€   +37,74%

FREENET    01.03.    10,18€  14,00€   +37,52%

K&S AG     29.02.    37,13€  50,00€   +34,66%

 

Es handelt sich um Analysen aus dieser Woche. Bitte genießen

Sie diese Übersicht mit Vorsicht. Sie wissen ja, dass häufig

auch ein Eigeninteresse des Analysten für eine rosa Brille

sorgen kann, weshalb Analysteneinschätzungen tendenziell

optimistischer ausfallen als es die Realität anschließend

erlauben würde. Aber die Übersicht gibt einen Eindruck darüber,

wo die Erwartungen mit dem aktuellen Kurs am weitesten

auseinander liegen. Wer letztlich Recht haben wird, der Analyst

oder die Anleger, die den Kurs machen, ist in jedem Einzelfall

individuell zu beurteilen.

 

Im nächsten Kapitel stelle ich Ihnen ein Unternehmen vor, das

Sie alle kennen. Der Kurs ist in meinen Augen zu niedrig, weil

Sie alle den falschen Teil des Unternehmens kennen.

Zukunftsmusik ist in einem anderen Unternehmensbereich zu

finden, den ich näher bringen möchte.

Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

Lettertest Newsletter

Gratis Probeabos, Rabatt Couponaktionen
Newsletter Umschlag