Twitter - CEO Dick Costolo auf dem Schleudersitz: Nachkaufen

Es geht rund bei Twitter. Nach +60% seit Jahresbeginn wurde gestern Abend in Folge schlechter Quartalszahlen die Hälfte dieses Gewinns wieder abgegeben. Die Aktie stürzt heute um -20% auf 38,50 Euro ein.
Grund sind schwache Q-Zahlen, die gestern Abend veröffentlicht wurden
Dabei kam es zudem auch noch zu einem Missgeschick: Die IR-Webseite wird von der Nasdaq im Auftrag für Twitter gemanagt. Versehentlich hat die Nasdaq das Dokument mit den Q-Zahlen kurzzeitig eine Stunde zu früh auf die Webseite gestellt. Ein "Scrap-Robot", so heißen Programme, die gezielt nach bestimmten Informationen im Internet suchen, hat das Dokument gesehen, gespeichert und automatisch für die Finanzindustrie ausgewertet. Diese Srap-Robots werden dazu programmiert, komplexe Zahlen schnell nach bestimmten Regeln auszuwerten, damit Händler wenige Sekunden nach der Veröffentlichung eine auf den Zahlen basierte Entscheidung über die Aktie treffen können. Die verfrühte Veröffentlichung sorgte nicht nur für Verwirrung, sondern sofort für einen Ausverkauf der Aktie um 5%, bevor die Börse die Aktie von Twitter aus dem Handel genommen hat. Kurze Zeit später wurden dann die Zahlen offiziell veröffentlicht und der Kurssturz setzte sich fort.
Erst im November hatte CEO Dick Costolo im rahmen einer Analystenkonferenz diverse Neuerungen für Twitter vorgestellt. Diese Änderungen wurden schnell implementiert und Analysten erwarteten für die gestrigen Zahlen die ersten positiven Auswirkungen der Neuerungen. entsprechend war die Aktie seit Jahresbeginn in freudiger Erwartung um 60% angesprungen.
Erwartungen nicht erfüllt
Doch die gestrigen Zahlen blieben hinter den hoch gesteckten Erwartungen der Analysten, als auch hinter der unternehmenseigenen Prognose zurück. Die erste Reaktion der Anleger ist also Enttäuschung. Man fragt sich, ob CEO Costolo nichts als heiße Luft verbreitet hat. Ich kann die Enttäuschung nachvollziehen und erwarte kaum eine schnelle Erholung auf neue Allzeithochs, sondern eher eine langsame Erholung über die nächsten Quartale.
Ist das Geschäftsmodell Twitter also kaputt? Oder haben wir es "nur" einmal mehr mit einem Rücksetzer zu tun? Ich denke letzteres ist der Fall, wobei ich CEO Costolo inzwischen vorwerfen muss, seinen Laden nicht im Griff zu haben Es ist die Aufgabe des Managements, die Erwartungen der Finanzmärkte in ein vernünftiges Maß zu lenken, das ist offensichtlich misslungen.
Natürlich können wir Costolo zugute halten, dass er mit dem Geschäfsmodell von Twitter Neuland betritt und Prognosen daher sehr schwer möglich sind. Doch ich erwarte von einem CEO, dass er einen Ausblick gibt, der das Machbare beziffert und die im Neuland mögliche Übererreichung des konservativ Machbaren unausgesprochen lässt. Costolo hingegen hat die Erwartungen in den Himmel wachsen lassen, was zum Kursanstieg der vergangenen Monate beitrug und heute den Ausverkauf zur Folge hat.
Ich denke aber nicht, dass das Geschäftsmodell von Twitter durch die gestrigen Zahlen in Frage gestellt wird. Twitter befindet sich auf einem gute Weg. Zwei Faktoren haben laut Costolo und CFO Anthony Noto die Zahlen vermiest: Zum einen litt auch Twitter unter dem starken US-Dollar, die Einnahmen außerhalb der USA waren daher weniger US-Dollar wert. Zum anderen würden die im November angekündigten Neuerungen noch nicht so gut ankommen, da Kunden nicht bereit seien, für die gestiegene Qualität der Twitter-Werbung mehr Geld auszugeben.
Die Währungsausrede halte ich bei Twitter für an den Haaren herbeigezogen, denn ein Wachstumsunternehmen mit dem größten Teil des Geschäfts in den USA sollte das leicht wegstecken.
Kalkulierte Werbepreise nicht erreicht
Das Problem, nicht die kalkulierte Werbepreise zu erzielen, halte ich für gravierend. Twitter arbeitet daran, nur möglichst "relevante" Werbung einzublenden, damit die Klickrate und das dadurch für die Werbenden generierte Geschäft hoch ist. Costolo hat in der gestern Abend anschließenden Analystenkonferenz lange über die Qualitätsverbesserungen der Twitter-Werbung gesprochen. Dabei verwendete er Begriffe wie Engagement-Rate und Click-Through-Rate, um den Unterschied der Twitter-Werbung für mobile Endgeräte zum PC-Werbung aufzuzeigen. Ich bin selber gerade dabei, Twitter-Werbung für den Heibel-Ticker nutzbar zu machen und kämpfe mich durch die verschiedenen Begrifflichkeiten und Messmethoden, doch so richtig klar ist mir das alles noch nicht. Neuland eben.
Ich gehe nach wie vor davon aus, dass dieses Neuland erschlossen wird und das Twitter davon stark profitieren wird. Doch entweder hat CEO Costolo seine Kunden (wie mich) überschätzt, oder er ist nicht in der Lage, dieses Neuland leicht verständlich zu machen. Um mir weiter in den Spiegel schauen zu können muss ich letzteres annehmen.
Schlimmer noch:
Vielleicht weiß Costolo selber nicht, wohin die Reise geht. Zum Börsengang Ende 2013 hat Costolo Analysten darauf eingeschworen, die Anzahl der Timeline-Aufrufe seiner Kunden als Massstab für das Unternehmenswachstum zu verwenden.
Als die Timeline-Aufrufe plötzlich nicht mehr so stark anwuchsen erklärte er das mit Änderungen in der Zusammenstellung der Timelines, was einen selteneren erneuten Aufruf zur Folge habe. Analysten sollten sich lieber auf das Wachstum der monatlichen Twitter-Nutzer (MAUs) konzentrieren.
Als das Wachstum der MAUs plötzlich hinter den Erwartungen zurück blieb erklärte Costolo dies mit den vielen Nutzern, die Twitter nutzen würden, ohne sich anzumelden oder einzuloggen. Seiner Aussage zufolge würden 500 Mio. Nutzer monatlich Twitter nutzen, aber nur ein kleiner Teil davon würde sich auch einloggen. Entsprechend sei die Wachstumsrate der Twitter-Nutzer viel größer als durch die MAUs angegeben. Man solle sich lieber auf die Werbeeinnahmen konzentrieren, die Twitter generieren könne und bei denen auch die nicht eingeloggten Twitter-Nutzer zu Geld gemacht würden.
Nun, raten Sie mal, welche Zahl Costolo gestern als nicht mehr so relevant bezeichnete: Das Umsatzwachstum! Es gebe die Qualitätsmaßnahmen unzureichend wider, die bei der Einbindung der Werbung erzielt würden und für die Kunden heute noch nicht einen entsprechenden Aufpreis zahlen würden.
Costoles Ausreden unnötig
Meine Lust, mich mit den immer neuen Ausreden Costolos auseinander zu setzen schwindet. Klar, die Aktie ist auch nach dem Kurseinbruch von heute in diesem Jahr noch immer um 30% gestiegen und liegt damit sowohl vor dem Dow Jones, als auch vor dem DAX. Doch das waren Vorschusslorbeeren und nun miss Twitter irgendwann einmal verlässliche Zahlen liefern. Und so wie mir wird es auch einer Reihe von Wallstreet-Analysten gehen. Ich gehe davon aus, dass Costolo nun auf die Abschussliste gesetzt wird und die Aktie, solange er im Chefsessel bleibt, nur zögerlich die heutigen Verluste ausgleichen wird. In meinen Augen stimmt das Geschäftsmodell, doch Costolo ist offensichtlich nicht in der Lage, Anleger auf die spannende Reise in die mobile Twitterwelt mitzunehmen.
Die Prognose für das laufende Jahr hat Twitter nun gesenkt. Umsatz für das abgelaufene Quartal blieb um 2% hinter den Erwartungen zurück. die Prognose hat man gleich um 4,5% gesenkt, um den nun erfahrenen Ungewissheiten des Marktes Rechnung zu tragen - Costolo und Noto möchten also jetzt konservativ sein. Bei Wachstumsraten von über 50% dürfte diese kleine Anpassung bei der Bewertung kaum eine Rolle spielen, ursächlich für den Kurseinbruch ist der Vertrauensverlust in Costolo.
Es wird ein Gewinnwachstum von durchschnittlich 70% p.a. für die nächsten fünf Jahre erwartet. Das KGV 2016e steht bei 50. Sie wissen, dass ich ein KGV von bis zu dem zweifachen des Gewinnwachstums gut heiße, also in diesem Fall 140. wir müssen hier ein wenig abziehen, dass die Prognosen und Erwartungen ja nicht erfüllt werden, jedoch nur um 4,5%. doch selbst wenn wir die Gewinnerwartung um ein Viertel kürzen, ergibt sich noch immer ein Gewinnwachstum von über 50% und somit ein mögliches KGV von 100, dem doppelten von heute.
Wie gesagt wird sich die Aktie nicht so schnell erholen, so lange CEO Costolo im Chefsessel sitzen bleibt. Es ist ein Schleudersitz und er muss nun erst beweisen, dass seine Strategie richtig ist, bevor die Aktie wieder zu neuen Hochs streben kann. Doch der Ausverkauf von gestern Abend ist aus langfristiger Sicht übertrieben und ich würde daher das heutige Kursniveau nutzen, um nachzukaufen. Twitter macht derzeit 4,1% des Portfolios aus, unsere Wachstumspositionen sollen idealerweise bei 7,5% Anteil liegen. Ich würde die heutigen Kurse zum Nachkaufen der Hälfte der fehlenden Position nutzen und im falle noch tieferer Kurs in den kommenden Tagen die Position voll machen. ein solcher Ausverkauf dauert häufig zwei bis drei Tage an, bevor es zu einer Gegenreaktion kommt. Allerdings möchte ich die Gelegenheit nicht völlig verpassen, daher heute schon der erste Nachkauf.