Phosphor - ein Baustein des Lebens

Veröffentlicht am 19.09.2009

In den Anfangstagen der wissenschaftlichen Chemie laborierte man zufallsgeleitet herum, immer noch angetrieben von der Suche nach dem Stein der Weisen. So praktizierte das auch Henning Brand 1675. Er war davon überzeugt, man könne aus menschlichem Urin Gold destillieren. Aus 50 angesammelten Kübeln mit Urin gewann er mit geheimnisvollen Methoden schließlich eine weiße, wachsartige Substanz.


Gold kam natürlich nicht dabei heraus, aber es ereignete sich etwas Eigenartiges und höchst Interessantes: Die Substanz begann nach einiger Zeit im Dunkeln zu leuchten. Dieses Leuchtphänomen können wir heute erst durch Quanteneffekte erklären: das an der Oberfläche mit der Luft gebildete Oxid wandelt sich in eine energieärmere und stabilere Oxid-Art um. Bei diesem Prozess wird die freigesetzte Energie vorwiegend durch Licht abgegeben. Man nennt das Phosphoreszenz. Kommt dieser Stoff mit Luft in Berührung, fängt er von selbst Feuer. Was für eine kommerzielle Möglichkeit in dieser Substanz steckte, die bald Phosphor, also Lichtträger hieß, entging natürlich kaum den geschäftstüchtigen Zeitgenossen von H. Brand. Eine Unze des wertvollen weißen Phosphors wurde für sechs Guineas teuer verkauft, in heutiger Währung knapp 600 Euro.  

Anfangs griff man zur Gewinnung des Rohstoffs auf pissfreudige Landser zurück, denn eine andere Quelle für eine industrielle Erzeugung war bis dato unbekannt. Später, Mitte des 19ten Jh. entwickelte der Schwede Karl Scheele ein Verfahren, mit dem man Phosphor aus Knochen in großen Mengen geruchsfrei herstellen konnte. Justus von Liebig, der Vater der Agrarchemie, entwickelte zwischen 1846 und 1849 einen wasserlöslichen, bis heute noch weltweit verwendeten Phosphatdünger, den so genannten Superphosphat. Dieser verbesserte erstmals die Ernten und damit die Nahrungsversorgung in der zweiten Hälfte des 19ten Jh. ganz wesentlich, einem Jahrhundert, das von Hungersnöten heimgesucht war. Übrigens benötigt man heutzutage zum Aufschließen von Calciumphosphat etwa 60% der weltweiten Schwefelsäureerzeugung.

Bald erkannte man, dass Phosphor für alle biologischen Organismen lebensnotwendig ist. Phosphorverbindungen sind sogar Bestandteil und Trägersubstanz der DNA- und RNA-Moleküle. Die stark phosphorhaltige ATO-Verbindung ist ein energiereicher Baustein der Nukleinsäuren. Sie spielt eine große Rolle beim Energiestoffwechsel der Zellen. Im Blutplasma wirkt Phosphat als Puffer und beteiligt sich am Säure-Basen-Haushalt.

In der Asche verbrannter Pflanzen finden sich etwa 3% Phosphor, Asche von Menschen und Säugetieren enthält davon 4%. Wir bestehen aus etwa 700 Gramm Phosphor, alleine 600 g sind fest im Knochensystem eingebaut. Diese Gerüstsubstanz von Knochen und Zähnen besteht hauptsächlich aus Hydroxylapatit, einem Phosphorträger. Täglich müssen wir rund 0,75 Gramm Phosphor durch Milchprodukte, Fleisch, Fisch und Brot aufnehmen, um auf Dauer zu überleben. Phosphor liefert Kraft und Energie, indem er bei Stoffwechselvorgängen von Fetten und Stärken mitwirkt. Grundsätzlich ist er an allen physiologisch-chemischen Reaktionen des Körpers beteiligt, z.B. beim Knochenaufbau, bei der Nervenreizleitung und Herztätigkeit. Optimal wirkt Phosphor zusammen mit der doppelten Menge Calcium.

Viele Pilze, Mikroorganismen im Meer, Quallen und Krebstiere können mit Hilfe von Phosphor Biolumineszenz erzeugen: Ein geheimnisvolles leuchtendes Naturschauspiel im Hochsommer führen uns Leuchtkäfer vor, die ja im Volksmund Glühwürmchen heißen. Paarungsbereite Leuchtkäfer senden diese kalten Leuchtsignale aus. Erstaunlich, bisher gibt es keine künstliche Lichtquelle, die sich mit dem Wirkungsgrad von bis zu 95% der Biolumineszenz messen kann.

Phosphormoleküle im Tetraederpack bauen den weißen Phosphor auf - die reaktivste Art des Elements. Schon bei 44°C schmilzt weißer Phosphor und siedet bei 280°C. Feinverteilt neigt er zur Selbstentzündung und muß deshalb in einer Schutzflüssigkeit wie Wasser aufbewahrt werden; vor allem ist er sehr giftig. Phosphorbrand kann nicht mit Wasser gelöscht, sondern muß mit Sand erstickt werden. Diese „unangenehme“ Eigenschaft machten sich im II. Weltkrieg die Briten bei Brandmunition zu Nutze, um deutsche Städte flächendeckend zu zerstören. Noch heute schlummert der Brandtod des Kriegs heimtückisch in der Ostsee. Nichtsahnende Urlauber suchen den Strand nach begehrtem Bernstein ab und finden statt dessen angespülte Relikte des Zweiten Weltkriegs: Phosphorrudimente aus Brandbomben; das Teufelszeug gleicht frappierend dem Bernstein. Sobald der gefährliche Feuerteufel im Bernsteingewand mit dem Luftsauerstoff in Kontakt kommt, führt das zu schlimmsten Brandverletzungen.

Weitere Phosphorarten leiten sich durch eine Hitzebehandlung des weißen Phosphors ab. So entsteht unter Luftabschluss durch Erhitzen auf 250°C roter Phosphor, ein amorphes Pulver. Bei diesem Vorgang brechen die Phosphor-Tetraeder auf. Diese Art ist unlöslich und reagiert auf chemische Reize weniger als weißer Phosphor. Erst bei einer Temperatur von über 260°C ist diese rote, ungiftige Modifikation brennbar; der Schmelzpunkt liegt bei 620°C. Anwendung findet roter Phosphor bei der Herstellung von Streichhölzern und Feuerwerkskörpern. Paradox ist, dass fein verteilter Ammoniumphosphor in Kunststoffen als Flammschutzmittel dient: Die Reaktionsprodukte von Phosphor, Luftsauerstoff und Restfeuchte im Kunststoff bilden dabei eine verkohlte Schutzschicht gegen die Flammen.

Erhitzt man weißen Phosphor länger als eine Woche bei einer Temperatur über 550°C, bildet sich violetter Phosphor; dessen Struktur ist recht komplex. Schwarzer Phosphor ist ein leicht metallisch glänzendes, kristallines Pulver mit leicht schuppiger Konsistenz. Seine Struktur erinnert an Graphit. Schwarzer Phosphor entsteht unter sehr hohem Druck aus weißem Phosphor; er leitet elektrischen Strom und steht in seinen Eigenschaften der roten Form nahe. Schwarzphosphor ist unlöslich und hat die geringste Reaktivität aller Phosphorarten.

Phosphor ist auf der Erde nicht weit verbreitet. Der Anteil am Aufbau der Erdkruste beträgt etwas mehr als 0,1 Gewichtsprozent. Von der Vielzahl der Phosphatmineralien ist neben Pyromorphit, dem Bundbleierz, Türkis, Vivianit, vor allem Apatit bedeutend für die Düngemittelindustrie. Manche Eisenerze enthalten große Phosphatmengen, die bei der Eisenverhüttung als sogenanntes Thomasmehl anfallen und als Dünger dienen. Längere Zeit war Guano, die phosphorhaltigen Ausscheidungen pazifischer Meeresvögel, eine wichtige Quelle zur Phosphatgewinnung. Auch heute noch ist Guano ein beliebtes Düngemittel.

Übrigens gibt es den derben Apatit, ein Calcium-Phosphat, auch in einer edlen Ausprägung als Edelstein. Nicht umsonst heißt er Apatit, vom griechischen ápate für Betrug, weil man ihn wegen seiner unterschiedlichen Farben mit anderen Kristallen, etwa mit dem Beryll oder Quarz, leicht verwechseln kann. Dem Rohstofffan sei gesagt, dass Apatit durch eingelagerte Seltene Erden wie Neodym und Praseodym ein charakteristisches, linienreiches Spektrum zeigt.

Weltweit werden jährlich etwa 100 Millionen Tonnen Phosphatminerale abgebaut und rund 90% davon in der Düngemittelindustrie verarbeitet. Phosphor lässt sich in Düngemitteln derzeit durch keinen anderen Stoff ersetzen. Bei steigendem Phosphorverbrauch ist das Ende absehbar. Wie lange die Vorräte reichen, ist ungewiss. Aber man schätzt, dass die Ressourcen kaum noch 50 Jahre halten. Da indes weltweit immer mehr Biokraftstoffe gewonnen werden und immer mehr Menschen die Erde bevölkern, dürfte Phosphor eher als das Öl zur Neige gehen. In den letzten Jahren stieg der Phosphor-Verbrauch deutlich an, nicht zuletzt wegen des Anbaus von Biokraftstoffen und der Intensivierung der Landwirtschaft. Deutsche Landwirte bringen allein pro Jahr 300 000 Tonnen Phosphat-Mineraldünger auf ihre Äcker aus, und das mit steigender Tendenz. Nach der Ölkrise werden wir uns mit einer neuen Misere auseinander setzten müssen: der Phosphorkrise.

Mit Abstand der größte Phosphorproduzent ist China, denn 80% aller Phosphatlagerstätten liegen dort. Doch das Land braucht Phosphor zum Eigenbedarf. Das führte dazu, dass das Reich der Mitte in diesem Jahr die Ausfuhrsteuern auf Phosphor von 20 auf 120% erhöhte. Mit der Preiserhöhung bei Phosphor befürchten Experten nun auch einen neuen Preisschub bei den Agrarrohstoffen. Aber nicht nur der Agrarsektor ist betroffen. Phosphor ist auch wichtiger Rohstoff in der Spezialchemie. Einige Unternehmen kündigten schon Preiserhöhungen an. So hat der in Leverkusen ansässige Spezialchemie- Konzern Lanxess AG die Preise für alle Phosphorverbindungen erhöht.  

Australien mit dem Unternehmen Arafura Resources (WKN 787896) könnte der Retter in der Not sein. Dieser Anbieter geht 2011 mit Seltenen Erden in Produktion, und dabei entsteht als Beiprodukt eine beträchtliche Menge an Phosphor. In jüngster Zeit machte Stonegate Minerals aus Kanada auf sich aufmerksam; die Gesellschaft will eines der größten Phosphat-Projekte der Welt erwerben.    

Über den Autor: Dipl.-Ing. Hans Jörg Müllenmeister (geb. 1941) studierte in Aachen Allg. Elektrotechnik. Seit 1966 war er in der Elektrotechnik im Bereich der Technischen Dokumentation und Information tätig. Eine Fernostreise brachte den ersten Kontakt mit Edelsteinen. Seit 1978 ist er Diamantengutachter und Edelsteinfachmann, spezialisiert auf das Studium und die Dokumentation der Einschlüsse in Farbedelsteinen. Buchautor mehrerer Edelstein-Fachbücher, seit 1995 Privatier und freier Publizist auf dem Gebiet der Sachwertanlagen, Edelmetalle, Edelsteine und Diamanten. 12/08 erschien sein viel beachtetes Werk "Erlebtes Universum".

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