Finanzgeschichte und Heutige Resultate

Stephan Heibel
Veröffentlicht von Stephan Heibel am 03.10.2010
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

Am Wochenende habe ich so einiges in meinem Kopf sortieren müssen. Schuld daran sind Wolfram Engels und Otmar Issing, zwei der cleversten Volkswirte, die ich kenne. Otmar Issing kennen viele von Ihnen bereits aus meinen Ausführungen, er wird inzwischen auch „Mr. Euro“ genannt, da er in den zehn Jahren von 1998 bis 2008 als Chefvolkswirt der EZB die Ausgestaltung der EZB-Politik maßgeblich gesteuert hat. Wolfram Engels war Volkswirtschaftsprofessor in Frankfurt und Mitherausgeber der Wirtschaftswoche bis zum seinem Tod 1995. Während meines Volkswirtschaftsstudiums las ich jeden Freitag die letzte Seite der Wirtschaftswoche, weil Engels dort aktuelle Probleme der Tagespolitik einer volkswirtschaftlichen Betrachtung unterzog und damit immer wieder zu überraschend einleuchtenden Ergebnissen kam, die häufig der Massenmeinung widersprachen. Engels hatte bis zu seinem Tod an einem Buch gearbeitet, das seine Frau sodann fertigstellte und veröffentlichte. Dieses Buch bekam ich damals von einem Freund geschenkt und seither steht es bei mir auf der Liste der Bücher, die ich unbedingt einmal lesen wollte, wenn ich Zeit hätte ...


..in den vergangenen Wochen habe ich mir die Zeit genommen. Und gleichzeitig habe ich mir auch das von Issing im Jahr 2008 veröffentlichte Buch über den Euro vorgenommen. Engels hat so ziemlich alle Katastrophen der Finanzgeschichte durchleuchtet und Forderungen für eine „bessere“ Währung daraus abgeleitet. Wenn ich mir sodann Issings Ausführungen über die Ausgestaltung des Euros durchlese, so muss ich sagen, dass er die überwältigende Mehrheit der von Engels aufgezeigten Probleme gelöst hat. Während also 1995 die Skepsis über den Euro überwog, kann heute festgestellt werden, dass der Euro viel stabiler ist, als dies damals irgendjemand für möglich gehalten hätte. Und darüber hinaus hat die EU im Umgang mit der EZB bewiesen, dass auch neue Probleme gelöst werden können. Ich muss also sagen, dass mein Vertrauen in den Euro durch das zufällig parallele Lesen dieser beiden Bücher deutlich gestiegen ist. Issing selbst führt am Ende seines Buches einige Probleme auf, die unter anderem noch im gleichen Jahr zu der Finanzkrise und später auch zur Griechenlandkrise führten. Die Schwachpunkte waren also nicht unbekannt, und die bis zum heutigen Tage gefundenen Lösungen sind meines Erachtens noch lange nicht ausreichend. Doch die Richtung stimmt, und das ist schon einmal ein großer Vorteil. In den vergangenen Jahren habe ich stets eine goldgebundene Währung abgelehnt, es fehlt ihr die Flexibilität zur Vermeidung einer Rezession. Allerdings hatte ich auch dem Euro keine rosige Zukunft in Aussicht gestellt, da mir genau die im Rahmen der Griechenlandkrise aufgetretenen Probleme bewusst waren. Ein stabiler Euro muss an einen realen Wert gebunden sein. Sei es das Gold, das nicht beliebig vermehrt werden kann, oder sei es eine andere reale Größe. Für den Euro hat man sich auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) geeinigt. Die Staatsverschuldung darf nicht über 60% des BIP betragen. Die Neuverschuldung darf nicht über 3% des BIP liegen. Und die Entwicklung der Geldmenge, das Inflationsziel, wird in Abhängigkeit vom BIP- Wachstum gesteuert. Die Probleme, mit denen wir immer wieder konfrontiert werden, sind zum einen die gegenläufigen Interessen der Politik (wir kennen die Gewohnheit der Südstaaten sich aus Wirtschaftskrisen „herauszuinflationieren“), sowie die Probleme bei der Erhebung der zugrundeliegenden Daten. So berücksichtigt die herkömmliche Geldmengenbetrachtung Bargeld und Sichteinlagen bei Banken, Termingelder, Sparbücher und sogar Aktien und Anleihen. Auch Fonds können in das Modell noch eingebunden werden. Doch wie man Finanzderivate wie Indexzertifikate, Optionen (Calls, Puts), ganz zu schweigen von Swaps oder CDOs, MBSs etc. in die Geldmengenberechnung einbezieht, ist ein heiß diskutiertes Thema. Diese Problematik steckt übrigens hinter der Entscheidung der Fed, die Geldmengenentwicklung nicht mehr zu veröffentlichen. Sowohl Engels, als auch Issing legen in ihren Büchern einen sehr großen Schwerpunkt auf die Analyse der jeweiligen Erwartungshaltungen der Marktteilnehmer. Engels durchleuchtet dazu schlappe 5.000 Jahre Finanzgeschichte mit unzähligen (für einen Volkswirten spannenden) Beispielen und leitet daraus das Verhalten der Menschen in bestimmten Situationen ab, inklusive regionaler Unterschiede. Issing wiederum zeigt immer wieder den Unterschied der realen Wirkungen einzelner Aktivitäten der EZB zu den häufig durch die Psychologie verstärkten oder teilweise auch gegenläufigen Wirkungen auf. Wenn ich diese beiden Betrachtungsweisen auf die Griechenlandkrise anwende, so ist es nur zu verständlich, dass der Goldpreis gerechnet in Euro im Rahmen der Krise neue Allzeithochs erreichte. Die Unterstützung für Griechenland hätte nicht passieren dürfen. Doch es handelte sich um einen Konstruktionsfehler: Es gab keinen festgelegten Strafautomatismus für das Vergehen und so musste in diesem einmaligen Fall flexibel gehandelt werden. Gleichzeitig sollte der Konstruktionsfehler nun behoben werden. In der vergangenen Woche wurde genau das verabschiedet: Festgelegte Strafen, die automatisch fällig werden, wenn man gegen die Maastricht-Kriterien verstößt. In den nächsten Wochen werden wir Analysen darüber erhalten, ob die Strafen angemessen sind. Wichtiger ist jedoch für die Anleger zu sehen, dass diese Strafen auch umgesetzt werden und sodann von den Mitgliedsländern gezahlt werden, ohne Pleite zu gehen. Somit ist der seit der Verabschiedung der Maastricht-Kriterien bekannte Konstruktionsfehler nunmehr gelöst. Wenn sich in den nächsten Wochen und Monaten, vielleicht auch Jahren, dann abzeichnet, wie verlässlich diese Lösung ist, wird sich der Euro entsprechend entwickeln. Politische Interessen, sowie eine vielleicht zu starke Fokussierung auf die Geldpolitik unter Inkaufnahme sozialer Probleme, könnten das System nach wie vor zum Scheitern bringen. Der Goldpreis in Euro wird also nicht über Nacht einbrechen, sondern je nach Akzeptanz dieser Lösung in den einzelnen Mitgliedsstaaten entsprechend langsam fallen oder aber leicht weitersteigen. Ungeachtet dessen wird der Goldpreis in US-Dollar meines Erachtens weiter ansteigen, sprich der Euro wird gegenüber dem US-Dollar weiter steigen. Näheres dazu in der Monatsbetrachtung zu den wichtigsten Indizes. Damit soll es vorerst genug sein mit volkswirtschaftlichen Betrachtungen. Es sind keine revolutionär neuen Erkenntnisse, die ich aus den beiden Büchern ziehe (die ich übrigens noch immer nicht zu Ende gelesen habe). Es ist jedoch eine glasklare Darstellung der Finanzwelt, so dass sich bei mir im Kopf derzeit eine ganze Reihe von Querverbindungen ergeben, die ich gerne künftig in meine Markt- und Aktienanalysen einfließen lassen möchte. Und bevor ich Ihnen völlig wirres Zeug schreibe, habe ich die Dinge erst einmal in meinem Kopf ein wenig gären lassen. Daher die heute verspätete Ausgabe. Ihrem Feedback entnehme ich in der überwiegenden Mehrzahl, dass Sie schon aufgrund meiner kurzen Info vom Samstag Verständnis dafür haben. Unverständnis und Kritik kam von ein paar Tradern – Menschen also, die sich mehr auf die Charttechnik verlassen und kaum die zugrunde liegenden Vorgänge verstehen wollen. Auch damit kann man sein Geld verdienen, doch im Heibel-Ticker versuchen wir weiterhin, die Dinge zu verstehen.
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