Die europäische Schuldenproblematik wird mehr und mehr zu einem Domino-Spiel
Frankfurter Börsenbrief
Je mehr Unbekannte in der Gleichung und je länger das ganze Prozedere dauert, umso größer wird die Gefahr, dass ein Domino-Steinchen kippt und eine Kettenreaktion ausgelöst wird. Die verschiedenen Akteure haben sich in Stellung gebracht, doch die Ansätze zur Lösungsbewältigung sind nicht synchron, so ähnlich wie ein Uhrwerk, bei dem die Zahnrädchen nicht ineinander passen.
Die Politik hängt fest in einer Patt-Situation, bei der sich das Zeitfenster für eine perfekte Lösung bereits geschlossen hat. Griechenland wird sich nicht gesund sparen können. Das ist ökonomisch und auch politisch unmöglich. Eine Streckung der Laufzeiten und/oder eine Reduzierung des Zinses würde das eigentliche Problem nicht nachhaltig lösen und folglich auch nicht in nachhaltiger Weise privates Kapital zurück in den Ring locken. Ohne privates Kapital aber ist jeder Lösungsansatz eine Totgeburt. Ein Schuldenschnitt wäre die ehrlichste und konsequenteste Maßnahme, doch ist dies in seiner Dimension und seinen möglichen Ansteckungseffekten für Europa letztlich nicht zu kalkulieren. Die entsprechende Warnung der Rating-Agentur Moody ́s ist ernst zu nehmen. Dass in einem solchen Umfeld auch die Zinsen für Irland und Portugal anzogen und auf einmal sogar ein Fragezeichen hinter das Italien-Rating gesetzt wird, ist kein Zufall. Vielmehr ist es ein Spiegelbild einer völligen Verunsicherung am Anleihenmarkt, dem die implizite Sicherheit einer Haftungsgemeinschaft unter dem Boden weggezogen worden ist. Immerhin hat Italien den größten Anleihenmarkt in Europa mit einem ausstehenden Volumen von derzeit etwa 1.130 Mrd. € gegenüber etwa 633 Mrd. € im Falle von Deutschland und ca. 465 Mrd. € von Spanien.
Die einzige jetzt noch realistisch verbleibende Option wäre ein politisches No-go. Würden sich die Euroländer, also vor allem Deutschland, doch zu einer solidarischen Haftung und Garantie durchringen, wäre die Kuh ökonomisch betrachtet zunächst vom Eis mit der Hoffnung, dass mit der Zeit wieder ein Marktvertrauen und entsprechend auch wieder eine private Finanzierungsstruktur über 2013 hinaus etabliert werden kann. Aber für die lokale Politik der „Geberländer“ wäre es quasi ein Selbstmordkommando mit ungewissem Ausgang für die politische Zukunft, nicht nur bei den nächsten Wahlen, sondern im großen Kontext. Bereits jetzt gibt es Anzeichen für eine Re-Nationalisierung der einzelnen Länder, sei es im Bezug auf den Rechtsruck in Finnland oder auch die Spannungen rund um das Schengener Abkommen. Europa hat es in seiner jungen Geschichte bisher nicht geschafft zusammenzuwachsen, und die jetzigen Verwerfungen werden zu einem extremen Test mit ungewissem Ausgang.
Die EZB kann und wird kein Ersatz für eine politische Lösung sein. Die Drohung der europäischen Währungshüter ist unmissverständlich: Eine Restrukturierung der griechischen Schulden würde bedeuten, dass die EZB den Strom-Stecker bei griechischen Banken zieht. Banken aus Griechenland, Irland und Portugal absorbieren derzeit eine EZB-Liquidität von etwa 242 Mrd. €, was für etwa 55 % des gesamten Liquiditätsvolumens steht, das die EZB dem euroländischen Finanzsystem zur Verfügung stellt. Die griechische Bankenwelt dürfte allein kaum überlebensfähig sein, auch vor dem Hintergrund, dass Privateinleger teils bereits Geld abziehen oder umschichten. Im Extremfall würden den griechischen Banken also ihre beiden wesentlichen Liquiditätsadern unterbrochen werden mit allen Seiteneffekten, die dies für das europäischen Bankensystem und das gegenseitige Vertrauen sowie den Handel miteinander beinhaltet. Auch im Nachgang der Lehman-Krise ist ein funktionierender Handel in der heutigen Zeit nicht mehr selbstverständlich.