Die Börsendiagnose: Choleriker

Stephan Heibel
Veröffentlicht von Stephan Heibel am 28.04.2016
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

Es war die Woche mit den meisten Quartalszahlen. Doch als wäre das nicht genug, haben gestern Makro-Ereignisse und manipulative Kommentare binnen eines Tages für ein Wechselbad der Gefühle gesorgt, wie wir es sonst nur binnen mehrerer Wochen kennen.


Carry-Trade sorgt für schlechte Stimmung

Fangen wir gleich mit dem kompliziertesten Thema an: Der Carry-Trade sorgte gestern früh für schlechte Stimmung an den Aktienmärkten. So kompliziert ist das Thema aber gar nicht. Sie wissen sicherlich, dass insbesondere institutionelle Anleger (Profis) ihr Aktiendepot häufig mit kreditfinanzierten Käufen vergrößern. Es gibt mathematische Modelle, die eine optimale Kreditfinanzierung ausspucken und es gibt ein Risikomanagement, mit dem man sich vor existenziellen Verlusten schützen kann. Das ist nichts für Privatanleger, weil man bei diesen Systemen nicht auf Wochen- oder Tagesbasis reagieren muss, sondern binnen Stunden- oder Minutenfrist.

Ein deutscher Profianleger, der beispielsweise ein paar Siemens-Aktien mehr kaufen möchte als er Kapital hat, nimmt einen Euro-Kredit zu 3% auf. Er hofft nun, dass sich die Siemens-Aktie inklusive Dividende besser entwickelt als die 3%, die er für das geliehene Geld bezahlen muss. Wenn die Sache aufgeht, verdient er an Geld, das ihm gar nicht gehört. Leveraging wird das genannt, gehebelte Spekulation. Wenn Siemens um 4% steigt, hat der Profi 1% verdient.

Nun sieht der Profi, dass er den gleichen Kredit statt in Euro auch in Yen aufnehmen kann, dort kostet der Kredit sogar nur 1%. Das ist verlockend, da aus zuvor 1% Gewinn im Falle eines Kursanstiegs von Siemens um 4% nun sogar 3% Gewinn werden. Eine Gewinnverdreifachung! Bleibt allerdings das Wechselkursrisiko.

Geldflutung liegt im Trend

Der japanische Premierminister ist seit langem schon mit dem Begriff "Abenomics" unterwegs, was für sein Vorhaben steht, durch Gelddrucken den Yen zu schwächen und dadurch die Exportwirtschaft zu stützen. 2012 bis 2014 funktionierte das ganz gut, doch seit Anfang 2015 hat der Yen seine Schwächephase beendet, seit Anfang 2016 legt der Yen nun plötzlich wieder zu. Hintergrund sind die Entscheidungen der EZB, noch mehr Geld zu drucken und der US-Notenbank Fed, die Zinsanhebungen langsamer umzusetzen. Sprich: Euro und US-Dollar sind nun ebenfalls extrem schwach, noch schwächer sogar als der Yen.

Wenn der Finanzprofi also 2012 oder 2013 seinen Kredit in Yen aufgenommen hatte, dann konnte er sich nicht nur über den günstigen Zins freuen, sondern gleichzeitig auf darüber, dass die Kreditsumme in Yen immer weniger Euros wert wurde. Er musste später weniger zurückzahlen, was die Rendite dieses Carry-Trades nochmals erhöhte.

Damit ist nun Schluss, der Yen ist zu einer starken Währung geworden (unter den Blinden ist der Einäugige König). Seit Anfang 2016 hat der Yen gegenüber dem Euro um 7% zugelegt. Gegenüber dem US-Dollar sogar um 10%, und glauben Sie mir, US-Profiinvestoren sind wesentlich aktiver, was den Carry-Trade angeht. Selbst bei 1% Kreditzins muss für den deutschen Profi die Aktie nun um 8% ansteigen - der DAX notiert aktuell 4% unter seinem Jahresstart - und für den US-Profi muss die Aktie um 11% ansteigen - der Dow Jones notiert mit 2% im Plus. Da sind einige Investments ziemlich unter Wasser.

 

Hoffnung auf weiter sinkenden Yen bestätigt sich nicht

Gestern früh hat die Japanische Notenbank ihre Zinsentscheidung bekannt gegeben und wider Erwarten gab es KEINE erneute Ausweitung der Geldflutung. Anleger hatten darauf spekuliert, dass eine erneute geldpolitische Lockerung den Yen nun wieder auf Talfahrt schicken würde. Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht und entsprechend legte der Yen nach dieser überraschenden Meldung weiter zu. Die Positionen, die ohnehin schon im Minus standen, rutschen weiter ab und Profianleger hüben und drüben zogen die Notbremse: Die Aktien wurden verkauft und der Yen-Kredit wurde zurückbezahlt.

Durch diese Aktienverkäufe geriet also der DAX gestern früh unter Druck. Auch der Dow Jones startete mit einem kräftigen Minus. Die Gemütslage des Patienten Börse glich einem Wutanfall eines Cholerikers.


Überraschung bei Quartalszahlen

Doch nach dieser technischen Reaktion auf die Zinsentscheidung der Bank of Japan durch sogenannte Profiinvestoren, deren Positionen unter Wasser waren, folgte die besonnene Reaktion der Anleger. Am Vorabend hatten nämlich unzählige Unternehmen Quartalszahlen vermeldet. Mit positiven Überraschungen warteten unter anderem die Deutsche Bank, Krones, MTU, Waker Chemie, Wincor, Qiagen und Takkt auf. Es folgten US-Unternehmen wie Ford mit explizit guten Zahlen aus China, Paypal, Bristol Meyers und Facebook, letztere mit dem meiner Einschätzung nach lupenreinsten Quartalsergebnis der Berichtssaison.

Folglich ging es gestern Nachmittag wieder bergauf. Anleger griffen zu, die Laune unseres Patienten hatte sich gefangen - und niemand wußte so recht, woran das eigentlich lag. Durchaus nicht untypisch für Choleriker.

Investorenlegende Carl Icahn treibt Technologieaktien in den Abgrund

Am frühen Abend verkündete sodann Investorenlegende Carl Icahn, er habe seine Apple-Position vollständig verkauft. Er halte die rückläufigen iPhone-Absatzzahlen von Apple in China für einen Wendepunkt, so Carl Icahn als Begründung, und schickte damit sämtliche Aktien, die etwas mit Technologie oder etwas mit China zu tun hatten, in den Abgrund. In Deutschland war der Handel inzwischen beendet, außerbörslich rauschte der DAX jedoch umgehend auf neue Tiefststände. Der Dow Jones rauschte binnen weniger Stunden um 1,5% ins Minus. Gerade war die rote Farbe aus dem Gesicht von Herrn Börse gewichen, da schoss das Blut stärker als zuvor zurück. Das Ende der Geldpolitik wie wir sie kennen wurde ausgerufen, das Ende der Rallye war beschlossene Sache. Man sprach von der schlechtesten Berichtssaison - ungeachtet der guten Quartalszahlen, wie oben aufgezählt.


Quartalszahlen verschaffen erneute Linderung 

Doch erneut sorgten die nüchtern vorgetragenen Quartalszahlen der Unternehmen nach Börsenschluss für "Linde"rung der Schmerzen. Linde verdiente mehr als erwartet, Continental hob sein Renditeziel an, Füchs Petrolub ist stets für solide Zahlen zu haben, Nemetschek expandiert im Ausland. In den USA folgen dann Expedia, die noch vor 3 Monaten mit schwachen Zahlen überraschten, LinkedIn, die vor drei Monaten vor einem sequentiellen Abwärtstrend für soziale Medien in Asien warnten, und Amazon, die vor drei Monaten wie eigentlich fast immer durch ihre Spendierfreude schockten, mit herausragenden Zahlen. Insbesondere Amazon überraschte mit einer Verdreifachung des Gewinns und lag damit doppelt so hoch wie von Analysten erwartet. Die Amazon Cloud (AWS) sowie Amazon Prime sorgten für den Gewinnsprung.

Apple - Grund zur Nervösität

Die anderen Tage dieser Woche waren nicht viel besser. Apple hat unter anderem Zahlen vermeldet. Ich durfte das schwache Ergebnis für N24 für die "Börse am Mittag" kommentieren, Sie können den Beitrag hier anschauen: http://www.n24.de/n24/Mediathek/videos/d/8437824/iphone-absatz-geht-erstmals-zurueck.html. Es war mein erster TV-Auftritt, Sie werden meine Nervosität nicht übersehen.

Der Beitrag wurde sodann noch auf das Portal der "Welt.de" übernommen, siehe http://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article154789301/Apple-verfehlt-alle-Erwartungen-Aktie-stuerzt-ab.html.

Eine wesentlich ausführlichere Besprechung der Zahlen, als in den 4 Minuten möglich war, lesen die Heibel-Ticker PLUS-Kunden im Kapitel 05 - Updates.

Von einem Choleriker zu erwarten, keinen Anfall mehr zu bekommen, ist schwer. Wir müssen uns andere Indikatoren anschauen, um uns über die weitere Börsenentwicklung ein Bild zu machen.

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES


Um 1,1% gab der DAX diese Woche ab, viel schlimmer traf es den Nikkei, der um 5,1% einbrach. Auch der Ausverkauf im Nikkei ist eine direkte Folge der ausgebliebenen weiteren Lockerung der japanischen Geldpolitik. Der Yen ist diese Woche gegenüber dem Euro um 2,1% angesprungen, gegenüber dem US-Dollar sogar um 2,9%. Die Amerikaner haben also viel stärker Carry-Trades aufgelöst als die Europäer. Das ist keine Überraschung. Entsprechend ist der leichte Anstieg des Euros gegenüber dem US-Dollar weniger eine Reaktion dieses Wechselkurspaares, sondern vielmehr die Folge der Yen-Turbulenzen.

Auf den Anleihemärkten selbst hat sich nicht viel getan, obwohl doch gerade diese durch die Zinsentscheidungen der Fed und Bank of Japan hätten beeinflusst werden sollen. Wie so häufig findet die Reaktion nicht dort statt, wo sie sein sollte.

Der schwache US-Dollar führt umgehend rein rechnerisch zu einem Ansteigen der Rohstoffpreise, das Gold ist um 2% angesprungen. Der Ölpreis ist mit einem Wochenplus von 7,3% inzwischen deutlich höher gesprungen, als von mir noch vor wenigen Wochen erwartet. Ich hatte als Obergrenze die 40 USD/Fass WTI ausgegeben und nur ein vorübergehendes Überschießen nach oben erwartet, doch so langsam etabliert sich beim Öl ein neuer Aufwärtstrend. Ich werde die 50 USD/Fass-Marke im Auge behalten, bevor ich mir eine neue Meinung bilde.

Nach wie vor extrem stark entwickelt sich der Baltic Dry Verschiffungsindex, der aufgrund eines Konjunkturstimulus in China durch das Aufstocken von Rohstoffvorräten inkl. Eisenerz profitiert. Ähnlich dem Ölpreis erwarten die meisten Experten, dass nach den Lagerauffüllungen ein Ende des Preisanstiegs zu befürchten ist, wenn nicht gar eine Rückkehr zu deutlich niedrigeren Preisen. Doch der Baltic Dry Index weist darauf hin, dass die chinesische Produktionswirtschaft tatsächlich Fahrt aufnehmen könnte.

Schauen wir uns nun die Stimmung der Anleger an.
 
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