Commerzbank - Der Wert von 11 Millionen Bankkunden

Stephan Heibel
Veröffentlicht von Stephan Heibel am 11.10.2012
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

Nach der Übernahme der Dresdner Bank ist die Commerzbank nun die zweitgrößte Bank in Deutschland, nur die Deutsche Bank ist größer. Doch wie bewertet man den Bankkunden einer Bank, die mit Milliarden-Beträgen in südeuropäischen Ländern investiert ist, die 1,7 Mrd. Euro aus ihrem Gewinn an den Steuerzahler (Soffin) zurückzahlen muss und die noch immer hohe Verluste aus dem Geschäft mit toxischen Finanzprodukten zu tragen hat?


Analysten haben inzwischen sämtliche Abenteuer in ihre Modelle eingearbeitet und können mit einem Federstrich das Risiko hochsetzen und senken. Entsprechend sinkt der errechnete faire Unternehmenswert oder er steigt.

So ist der Wert der 11 Millionen Privatkunden und der eine Million Geschäftskunden nur eine kleine Komponente unter vielen bei der Berechnung des fairen Unternehmenswerts. Analysten kommen auf Kursziele zwischen 1,12 und 2,80 Euro, je nach Risikoeinschätzung.
 

NORMALISIERTER GEWINN ALS BASIS


Ein in meinen Augen sinnvoller Ansatz ist die Bewertung des normalisierten Gewinns. Darunter versteht man genau das, was der Begriff aussagt: Der Gewinn, den das Unternehmen in „normalen" Zeiten abwerfen kann. Mit 11 Millionen Privatkunden lassen sich laut Geschäftsleitung 1 bis 1,4 Mrd. Euro verdienen, in guten Zeiten bis zu 2 Mrd. Euro. Uns interessieren die „normalen" Zeiten, und daher gegen wir von 1,2 Mrd. Euro als normalisiertem Gewinn aus.

Wenn also die Commerzbank ihre Altlasten einmal abgearbeitet hat, dann kann sie 1,2 Milliarden Euro verdienen. Ein KGV von 12 lässt dann eine Marktkapitalisierung von 14,4 Mrd. Euro zu, das entspricht einem Aktienkurs von 2,47 Euro. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
 

ALTLASTEN NOCH IMMER EIN DAMOKLESSCHWERT


Noch immer gibt es Altlasten aus der Finanzkrise 2007 / 2008, als die toxische Immobilienderivate durchgereicht wurden. Die Commerzbank hat diese Positionen bereits mit einem Risikosatz abgeschrieben, doch immer wieder wird neu berechnet, ob dieser Anteil ausreicht oder ob im Falle einer schlechten wirtschaftlichen Entwicklung nochmals höhere Summen abgeschrieben werden müssen.

Immer wieder liefert die 2006 von der Allianz und der Deutschen Bank übernommene Eurohypo Verluste für die Commerzbank. In der EU-Auflage zur Genehmigung der Soffin-Mittel wird ohnehin deren Verkauf gefordert, doch so leicht wird die Commerzbank das Ding nicht los und meldet immer neue Verluste und Wertberichtigungen aus diesem Bereich.

Bei Schiffsfinanzierungen hat die Commerzbank an vorderster Front mitgespielt, inzwischen gibt es eine Flut von neuen Schiffen aus Südostasien und viele der Finanzierungen sind notleidend geworden.

Noch 1,7 Mrd. Euro muss die Commerzbank an den Soffin zurückzahlen. Gleichzeitig gibt es verschärfte Basel 3 Auflagen an die Kernkapitalquote, so dass die mageren Gewinne aus dem Kundengeschäft kaum für alle Bedürfnisse ausreichen.

Doch der dickste Brocken, der zur Zeit die Aktie immer wieder auf Achterbahnfahrt schickt, sind Staatsanleihen überschuldeter südeuropäischer Länder im Volumen von rund 32 Mrd. Euro. Öffnet die EZB die Geldschleusen, so schießt die Commerzbankaktie nach oben. Droht ein weiterer Schuldenschnitt in Griechenland, so fällt sie ins Bodenlose.
 

BEWERTUNG VON STAATSANLEIHEN ÜBERSCHULDETER CLUB-MED LÄNDER


32 Mrd. Euro an Staatsanleihen stehen in den Büchern der Commerzbank mit einem Beleihungswert von 32 Mrd. Euro. Es ist traditionell so, dass Staatsanleihen zu 100% beliehen werden können, weil sie als so gut gelten wie bares Geld.

Das hat sich in den vergangenen Jahren jedoch in Europa verändert. Griechenland hat bereits einen Schuldenschnitt hinter sich. Wenn wir in die Finanzgeschichte schauen, sehen wir schnell, dass Schuldenschnitte weltweit eigentlich zur Tagesordnung gehören. Es ist das Risiko, das Anleger eingehen, die höhere Renditen erzielen wollen als bei den gut finanzierten Staaten zu holen sind. Ein ganz natürlicher Vorgang.

In Europa wurde dieser natürliche Korrekturprozess außer Kraft gesetzt, und so spekulieren heute noch Anleger darauf, eine höhere Verzinsung zu erhalten ohne das Risiko eines Schuldenschnitts einzugehen. Doch wenn Sie sich die jüngsten Aussagen von IWF-Cheffin Christine Lagarde anhören, dann ist ein zweiter Schuldenschnitt durchaus eine Option, die ihrem Willen nach diskutiert werden sollte.

Und diese Diskussion wäre verheerend nicht nur für die Commerzbank sondern für alle Banken in Europa. Denn ein zweiter Schuldenschnitt, der dieses Mal zudem die EZB einbeziehen müsste (sonst lohnt es sich nicht mehr), wird die antiquirte Beleihungspraxis endgültig in Frage stellen. Mit welcher finanzmathematischer Begründung kann man Staatsanleihen von fast insolventen Ländern genauso hoch beleihen wie Staatsanleihen solide wirtschaftender Länder? Und wieso kann man dann beispielsweise Apple, die nicht wissen wohin mit dem Bargeld, nur zu 50% beleihen?

Eine Änderung der Bewertung von Staatsanleihen würde bei allen europäischen Banken eine heftige Neubewertung nach sich ziehen. Die Commerzbank hat mit 32 Mrd. Euro verhältnismäßig viel in Südeuropa angelegt und wäre überproportional von einer solchen Diskussion betroffen.
 

KANN DIE EZB GRIECHENLAND RETTEN?


In den vergangenen Wochen ist die Aktie der Commerzbank von 1,24 auf 1,64 Euro empor geschossen. Auslöser war die Aussage EZB-Chefs Draghi, unbegrenzt Staatsanleihen überschuldeter Staaten aufzukaufen, wenn diese einen Hilfsantrag an den ESM gestellt haben.

Doch ist Griechenland durch einen solchen Plan zu retten? Werden die Griechen jemals ihre Schulden zurückzahlen können, die sie derzeit anhäufen? Oder ist die Schuldenlast vielleicht längst schon so erdrückend, dass es ohne einen erneuten Schuldenschnitt einfach nicht geht?

Nun, man spricht davon, dass die Schuldenspirale ab einer Verschuldung von 60% des Bruttoinlandproduktes (BIP) nur noch schwer aufzuhalten sei. Ab 100% gibt es eigentlich kaum einen Weg zurück. Und wenn durch die staatliche Notenpresse ein niedriges Zinsniveau gehalten werden kann, dann gilt auch das nur bis 120-150% als finanzierbar, je nach Wirtschaftskraft des Landes. Griechenland ist mit 160% verschuldet.

Entsprechend haben in den vergangenen Wochen eine Reihe von Analysten ihre Kursziele für die Commerzbank gesenkt. Die Begründung lautete stets ganz einfach, dass der Risikoabschlag erhöht wurde. So ist der Aktienkurs inzwischen wieder auf 1,41 Euro zurückgefallen.
 

POLITISCHE BÖRSEN


Ja, diese Überschrift ist provokativ. „Was hat die Politik an der Börse zu suchen", sagen die darwinistisch ausgebildeten Börsianer. Doch die Finanzkrisen haben uns eines besseren belehrt: Unser regulativer Rahmen reicht leider derzeit nicht aus, um die Märkte sich selbst zu überlassen. Daher ist die Politik gefragt, das Geld des Steuerzahlers eben.

Wer also einen fairen Wert für die Commerzbank Aktie errechnen möchte, der muss heute nicht mehr einfach die geschäftlichen Risiken abschätzen, sondern darüber hinaus auch Annahmen über die künftigen politischen Entscheidungen treffen. Und das ist nun einmal abgesehen davon, dass Finanzleute von Politik wenig Ahnung haben, grundsätzlich auch sehr schwer. Die Politik ist häufig willkürlich und damit unberechenbar.

Die Aktie der Commerzbank ist zu einem großen Maß von politischen Entscheidungen abhängig. Diese Abhängigkeit ist stärker als bei vielen anderen europäischen Banken, die beispielsweise keine staatlichen Hilfen erhalten haben oder auch weniger in den überschuldeten Staaten investiert sind. In den Wochen nach Draghis Ankündigung der Liquiditätsflutung war die Aktie zu recht angesprungen. Nun dürfte jedoch wieder die nüchterne Realität folgen: Die Schulden müssen, wenngleich sie auch von der EZB unlimitiert aufgekauft werden, doch irgendwann zurückgezahlt werden. Und ob das in vollem Umfang erfolgen kann, ist weiterhin fraglich.
 

FAZIT


Bevor die Commerzbank ein Bewertungsniveau erreichen kann, das ihren normalisierten Gewinn zur Grundlage hat, müssen die Risikofaktoren beseitigt sein. Doch diese Risikofaktoren dürften noch einige Monate wenn nicht Jahre auf dem Kurs lasten, sodass es immer wieder zu Rückschlägen kommen dürfte.

Die Bewertungsspanne ist groß, derzeit bewegt sich die Aktie in der Mitte der in meinen Augen sinnvollen Bewertungsansätze. Es drängt sich somit kein Kauf auf. Aufgrund der ungewissen politischen Entwicklungen würde ich darauf setzen, die Aktie zu einem späteren Zeitpunkt nochmals günstiger kaufen zu können.

 
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