ANLEGER ENTFREUNDEN FACEBOOK

Stephan Heibel
Veröffentlicht von Stephan Heibel am 25.05.2012
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

"unfriend" könnte durch Facebook schon bald ins englische Wörterbuch aufgenommen werden - "entfreunden". Der Börsengang von Facebook war ein Skandal in jeglicher Hinsicht. Lassen Sie uns den Ablauf einmal aus meiner Perspektive betrachten:


 

28-34 USD sollte der Ausgabepreis je Aktie ursprünglich sein. Aktien im

Wert von 10 Mrd. USD sollten ausgegeben werden. Anhand dieser Eckdaten

kalkulierten professionelle Anleger ihren Bedarf an Aktien: Wie viele

Aktien brauchen wir für unsere Fonds (Fondsgesellschaften), wie viele

Aktien wollen unsere Kunden wohl haben (Broker). Wie viele Aktien werden

die anderen wohl haben wollen.

 

An der Wallstreet verbreitete sich die Kalkulation, dass wohl etwa ein

doppelt so hohes Volumen gezeichnet würde. So zeichneten viele ein wenig

mehr Aktien, als sie tatsächlich haben wollten, in der Hoffnung, damit

ihren Bedarf dann gedeckt zu bekommen.

 

Dann hob das Konsortium von Banken, die den Börsengang organisierten,

angeführt von Morgan Stanley, den Ausgabepreis je Aktie von 28-34 auf

34-38 USD an. Das war nicht überraschend, viele hatten damit gerechnet.

Ich hatte es Ihnen sogar angekündigt.

 

Oh Wunder, zu bis zu 38 USD wollten nicht mehr so viele Anleger die

Aktien zeichnen, wie zu bis zu 34 USD. So sank zum einen die

Bereitschaft, Aktien zu zeichnen, und zum anderen sanken die

nachgefragten Stückzahlen bei denen, die eine bestimmte Summe für den

Börsengang von Facebook vorgesehen hatten.

 

Bis hierhin verlief alles nach Plan, und so sah es am Tag vor dem

Börsengang noch danach aus, als bekämen wir den größten Börsengang der

Geschichte relativ reibungslos über die Bühne. Doch dann überschlugen

sich die Ereignisse:

 

Am Abend vor dem Börsengang, also Donnerstag vor einer Woche,

kontaktierte Morgan Stanleys Börsengang-Team die Anteilseigner von

Facebook und fragte, ob sie nicht noch mehr Aktien an die Börse geben

wollten. Die Nachfrage sei ausreichend für eine Erhöhung des

Ausgabevolumens. Zuckerberg und andere Anteilseigner stimmten freudig

zu, und so ergab sich plötzlich ein Emissionsvolumen von 16 Mrd. USD,

also um 60% mehr als ursprünglich geplant.

 

Als diese Meldung veröffentlicht wurde, fürchteten diejenigen Zeichner,

die mehr gezeichnet hatten als sie eigentlich brauchten, zuviel Aktien

zugeteilt zu bekommen. Und tatsächlich stellte sich in den kommenden

Tagen heraus, dass die meisten Anleger alle Aktien erhielten, die sie

gezeichnet hatten.

 

Doch diese Information stand den meisten Anlegern, insbesondere den

Privatanlegern und auch den kleinen institutionellen Anlegern, für lange

Zeit nicht zur Verfügung. Die Nasdaq hatte nämlich Softwareprobleme mit

dem Börsengang. Die Notierung wurde erst mit einer halben Stunde

Verspätung gestartet, und es dauerte den ganzen Tag, bis Anleger

erfuhren, wie viele Aktien ihnen überhaupt zugeteilt wurden.

 

So segelten die Aktionäre von Facebook am Tag des Börsengangs im

Ungewissen: Niemand konnte ihnen sagen, wie viele Aktien sie nun

tatsächlich im Portfolio hatten. Nervös begannen einige umgehend zu

verkaufen.

 

Dieser Vorgang, die späte drastische Ausweitung des Emissionsvolumens

sowie der Softwarefehler bei der Nasdaq sind schon Skandal genug. Doch

der wahre Skandal kam erst einige Tage später zu Tage:

 

In der Nacht zum Börsengang, also Donnerstag Nacht, wurde die

Unternehmensstudie zu Facebook von Morgan Stanley überarbeitet. In den

Tagen zuvor hatte General Motors in einer kleinen Notiz verkündet, das

Werbebudget von 10 Mio. USD, das jährlich für Facebook vorgesehen war,

zu streichen. Ersatzlos! Man glaube an Facebook als wichtigen

Marketingweg, doch nicht über Werbebanner sondern über die intelligente

Pflege von Facebook-Seiten. Dafür werde man weiterhin 20 Mio. USD im

Jahr ausgeben - die natürlich bei den Betreuern der Facebook-Webseiten

landen, nicht aber bei Facebook.

 

Diese Meldung nahm der Analyst von Morgan Stanley zum Anlass, seine

Schätzungen für Facebook zu überarbeiten, und so kürzte er die

Gewinnerwartung für 2012 von 0,51 auf 0,48 USD im laufenden Jahr und von

0,88 auf 0,83 USD im Jahr 2013. Ein Unternehmen, das auf einem KGV von

74 notiert, muss stets seine Analysten so anleiten, dass noch Raum für

positive Überraschungen besteht. Eine Prognosekürzung darf niemals

erfolgen, schon gar nicht vom führenden Börsengang-Organisator wie

Morgan Stanley.

 

Schon heute ist das Unternehmen ambitioniert bewertet, wenn wir die

ursprünglichen Prognosen für das Jahr 2015 (ja, zweitausendfünfzehn!)

betrachten. So ist das eben bei Marktführern in der Internetbranche. Es

darf dann aber nicht das Geringste schief gehen. Beim ersten Anzeichen

dafür, dass etwas an den Aussichten nicht stimmen könnte, wird ohne

Rücksicht auf Verluste verkauft.

 

Schlimm genug, dass die Annahmen, mit denen man wochenlang auf roadshow

ging, um Anleger für den Börsengang zu begeistern, in der Nacht zum

Börsengang für falsch erklärt werden. Schlimmer noch ist jedoch, dass

dies heimlich geschah. Morgan Stanley hat nur eine kleine, ausgewählte

Schar von besonders guten Kunden (sprich: besonders reich!) angerufen

und über die Prognosekürzung informiert.

 

Der Börsengang mit 60% mehr Aktien als zunächst geplant, erfolgte also

am Freitag ohne besondere Information der Zeichner über die

Prognosekürzung, und die wenigen informierten Kunden konnten ihre

Zuteilung in den ersten Stunden verkaufen, Privatanleger kauften was das

Zeug hielt und wunderten sich, dass der Kurs dennoch so stark fiel. Erst

am Nachmittag wurde die Prognosesenkung bekanntgegeben.

 

Inzwischen war der Kurs schon von seinem ersten Eröffnungshoch bei 42

USD auf 38,50 USD gerutscht.

 

Fazit: Morgan Stanley behauptet, man habe sich entsprechend aller

einschlägigen Gesetze korrekt verhalten. Einige wenige Reiche konnten

auf Kosten der weniger Reichen Gewinne erzielen, und der Hauptakteur

stellt sich hin und behauptet, es sei alles fair gelaufen. Wundert es

Sie, dass Banken immer mehr ihres einstmals guten Rufes einbüßen?

 

Es ist wohl kaum mehr als eine Randnotiz wert, dass der

Untersuchungsausschuss der Lehman Brother Pleite gestern nach

dreijähriger Untersuchungsarbeit feststellte, dass alles im gesetzlichen

Rahmen verlief. Keine Anklage, kein Vorwurf für das Unternehmen, das

unser Weltfinanzsystem an den Rand des Abgrunds führte.

 

Schauen wir einmal, wie sich die einzelnen Indizes diese Woche

entwickelt haben:

 

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

 

                    INDIZES

                     24.5.12   Woche Δ

Dow Jones              12.530    0,7%

DAX                     6.316    0,1%

Nikkei                  8.580   -0,4%

Euro/US-Dollar           1,26   -1,0%

Euro/Yen               100,00   -0,5%

10-Jahres-US-Anleihe     1,76%   0,1

Umlaufrendite Dt         1,16%   0,0

Feinunze Gold        $1.562,8   -0,8%

Fass Brent Öl         $106,73   -0,1%

Kupfer                 $7.632   -0,4%

Baltic Dry Shipping    $1.058   -6,9%

 

ANGST VOR BESSERUNG IN EUROPA

 

Angst der Bären würde ich für den dreimaligen Kursanstieg des Dow Jones

in der letzten Handelsstunde verantwortlich machen. Angst davor, dass

Angela Merkel plötzlich einen Projekt-Bonds aus dem Hut zaubert. Angst

vor einer Umfrage in Griechenland, die vielleicht überraschend einen

Zuwachs bei den Euro-Treuen Parteien attestiert. Angst vor einem

beherzten Eingreifen der EZB. Angst vor ...

 

Denn Europa ist am Boden, und an den Börsen ist es inzwischen im

Kursniveau enthalten, dass Griechenland den Euro abgeben wird. Es

konzentriert sich alles bereits auf Spanien, das nächste Land, das

seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Und auf Merkel ist

Verlass, sie blockt alle Hilfegesuche der traditionellen

Weichwährungsländer, der Club-Med Länder, ab.

 

Dennoch: Nichts wäre für Deutschland schlimmer als ein

Auseinanderbrechen des Euros. Der schwache Euro beschert unser

exportorientierten Industrie dicke Umsätze und Gewinne. Je länger diese

Euro-Krise anhält, desto besser für Deutschland - solange das System

eben nicht kollabiert.

 

Über das Timing von Angela Merkel können wir uns beliebig aufregen. In

meinen Augen reagiert sie zu spät. Und je später sie reagiert, desto

mehr Zugeständnisse an die Club-Med Länder sind sodann erforderlich, um

die Situation überhaupt noch in den Griff zu bekommen.

 

Auf der anderen Seite ist es gerade die Zeit, in der sich Merkel

verweigert, in der in den Club-Med Ländern Strukturreformen umgesetzt

werden. Nicht in letzter Sekunde, sondern meist erst ein wenig danach.

Es ist eine nervenzerreibende Zeit, und sie muss leider so

nervenzerreibend sein, damit sich was bewegt.

 

Griechenland hat links gewählt, Frankreich hat links gewählt, und in NRW

hat die CDU einen erdrutschartigen Verlust erlitten. Es ist absehbar,

dass Angela Merkel ihre harte Linie nicht mehr lange wird durchhalten

können. Wachstumsimpulse müssen her. Ein Stück Schokolade, das die

Schmerzen der Strukturreformen lindert. Ein Schnaps, der dem Alkoholiker

den Entzug scheinbar etwas erträglicher macht. Ein Konjunkturprogramm,

das die Griechen vielleicht doch noch in letzter Sekunde den Verbleib in

der Eurozone schmackhaft macht.

 

Eurobonds werden immer wieder angesprochen, und Meldungen über eine

"weitgehende Einigkeit bei den Regierungschefs" stellen Angela Merkel

als Widersacherin immer weiter ins Abseits. Doch hier zeichnet sich ein

Ausweg ab: Projekt-Bonds. Hier würde der Euro-Bond, dessen Gelder

einfach an die Regierungen der Club-Med fließen würden, durch eine

zweckgebundene Projektfinanzierung ersetzt werden.

 

Projekt-Bonds. Es ist ein Schlagwort, das gerade beginnt, die Runde zu

machen. Doch über eine genauere Ausgestaltung finden wir noch nichts. Es

hört sich an wie ein politisches Konstrukt, das es Hollande ermöglicht,

seinem Volk ein weiteres Wahlversprechen einzulösen und es gleichzeitig

Merkel ermöglicht, sich in ihrer Haltung gegen Euro-Bonds durchzusetzen.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass Projekt-Bonds beschlossen werden und

dann eine Expertengruppe mit der Umsetzung allein gelassen wird. Ähnlich

wie beim Fiskalpakt.

 

Verarschung? Oder ist der Facebook Börsengang eine Verarschung? Na,

schauen wir uns mal an, wie die Stimmung unter den Anlegern darauf

reagiert.

 

Schauen wir einmal, wie sich die Stimmung unter Anlegern und Analysten

entwickelt:

 

SENTIMENTDATEN

 

Analysten

Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen):

 

Kaufen / Verkaufen

04.05.- 11.05. (156): 52% / 11%

11.05.- 18.05. (141): 51% / 11%

18.05.- 25.05. (107): 53% /  7%

 

Kaufempfehlungen der Analysten

SAP, Vodafone, VTG

 

Verkaufsempfehlungen der Analysten

Boston Scientific, Gamesa, MLP

 

Privatanleger

19. KW: 56% Bullen (179 Stimmen)

20. KW: 51% Bullen (142 Stimmen)

21. KW: 62% Bullen (177 Stimmen)

 

Kaufempfehlungen der Privatanleger

Faurecia S.A., Société Générale, Leoni

 

Verkaufsempfehlungen der Privatanleger

Facebook

 

Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt:

http://www.sharewise.com?heibel

 

 

Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt:

http://www.sharewise.com?heibel

 

TOP ANALYSTENZIELE

 

Sie wollen wissen, was die Analysten im Einzelnen für Aussagen treffen

und wo sie die größten Chancen sehen? Ich habe für Sie ab sofort jede

Woche eine Übersicht der Analysen mit den höchsten Kurszielen

ausgearbeitet. Die Liste zeigt ganz einfach an, wo das aktuelle Kursziel

des Analysten prozentual am meisten über dem aktuellen Kurs liegt:

 

TOP ANALYSTENZIELE

 

Unternehmen            Analyse vom  Kurs      Kursziel  Upside

DAIMLER AG              23.05.2012   38,34 €   92,00 €  139,96%

VOLKSWAGEN AG VORZ...   23.05.2012  128,48 €  275,00 €  114,04%

IVG IMMOBILIEN AG       21.05.2012    1,71 €    3,50 €  104,68%

MOLOGEN AG              24.05.2012   10,51 €   21,50 €  104,57%

BMW                     23.05.2012   62,12 €  116,00 €   86,74%

VTG AG                  23.05.2012   12,86 €   24,00 €   86,63%

ZOOPLUS AG              21.05.2012   35,26 €   65,00 €   84,34%

SUESS MICRO TEC AG      24.05.2012    7,09 €   13,00 €   83,36%

CONTINENTAL AG          23.05.2012   66,83 €  121,00 €   81,06%

COMMERZBANK AG          24.05.2012    1,40 €    2,50 €   78,57%

 

Es handelt sich um Analysen aus dieser Woche. Bitte genießen Sie diese

Übersicht mit Vorsicht. Sie wissen ja, dass häufig auch ein

Eigeninteresse des Analysten für eine rosa Brille sorgen kann, weshalb

Analysteneinschätzungen tendenziell optimistischer ausfallen als es die

Realität anschließend erlauben würde. Aber die Übersicht gibt einen

Eindruck darüber, wo die Erwartungen mit dem aktuellen Kurs am weitesten

auseinander liegen. Wer letztlich Recht haben wird, der Analyst oder die

Anleger, die den Kurs machen, ist in jedem Einzelfall individuell zu

beurteilen.

 

Daimler, Volkswagen, BMW und Continental: Gleich vier

Automobilunternehmen werden von Analysten mit Top-Kurszielen

ausgestattet. Hier zeigt sich der positive Effekt des niedrigen

Euro-Wechselkurses auf unsere Exportwirtschaft am deutlichsten. Doch

bedenken Sie, Kursziele unterliegen stets Annahmen, und wenn eine

Annahme nicht zutreffen sollte, beispielsweise eine erwartete

Konjunkturerholung bleibt aus, dann sind Analysten schnell bei der Hand,

ihre Kursziele wieder nach unten zu korrigieren.

 

Die Sonne scheint und in Deutschland freuen wir uns auf ein sonniges

Pfingstwochenende. Im nächsten Kapitel zeige ich auf, was dieses

Wochenende für die Börse bedeutet und wie wir uns darauf vorbereiten.

 
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

Lettertest Newsletter

Gratis Probeabos, Rabatt Couponaktionen
Newsletter Umschlag