Adidas in der Analyse
Veröffentlicht von
Stephan Heibel
am
26.08.2014
Meine persönlichen Erfahrungen mit adidas habe ich vor einigen Monaten zum Anlass genommen, um vor der Aktie zu warnen. Zu Recht. Nach dem Kurseinbruch ist es nun an der Zeit zu beurteilen, ob sich die Aktie schon wieder für einen Einstieg eignet, oder ob Sie noch ein wenig abwarten sollten.
Schuhe zum Davonlaufen
Ich komme gerade aus der Stadt zurück, in der Hand einen Karton neuer Laufschuhe: Asics. Ich habe mir alle Mühe gegeben, einen adidas-Schuh zu finden, der meinen Ansprüchen auch nur ansatzweise genügt – ohne Erfolg. Zu schmal der Schuh, unpassend für den typischen mitteleuropäischen Männerfuß. Zu weich die Sohle, kein Halt. Und gerade die Sohle mit dem Marketingbegriff „Boost", gemeinsam mit BASF entwickelt und als Revolution verkauft, ist bestenfalls etwas für eine Tartanbahn oder einen Straßenmarathon, jedoch ungeeignet für den neuen Volkssport „Laufen", der überwiegend auf Waldwegen stattfindet.
Schon im Frühjahr hatte ich meine persönlichen Erfahrungen als Indiz für den Missstand genommen und vor der Aktie gewarnt. Mein Besuch im Hamburger „Flagship Store", also dem Vorzeigeladen von adidas, endete in einem Fiasko: Mit dem Verkäufer, der immerhin von den Mitarbeitern als „Chef" angesprochen wurde, konnte ich über Farben der Schuhe sprechen. Er machte auf mich den Eindruck eines Modeverkäufers. Von Sport hatte er keine Ahnung.
Genug gemeckert, immerhin ist die Aktie seither um 30% eingebrochen. Seit der Veröffentlichung der verheerenden Q2-Zahlen Ende Juli kommen überraschend selbstkritische Signale aus Herzogenaurach. Schauen wir also einmal, ob CEO Herbert Hainer den Laden zugrunde wirtschaftet oder ob der heftige Rücksetzer eine Kaufgelegenheit für langfristig orientierte Anleger ist.
CEO Herbert Hainer verfehlt seine eigenen langfristigen Ziele
17 Mrd. Euro Jahresumsatz und eine Gewinnmarge von 11% wollte CEO Hainer im kommenden Jahr erzielen. Das war das 2010 ausgerufene Ziel der „Route 2015", und daran hielt das Management bis Ende Juli krampfhaft fest.
Nach den Q2-Zahlen sind diese Ziele nun jedoch aufgegeben worden. Analysten rechnen nunmehr mit einem Umsatz von 15,4 Mrd. Euro und einer Gewinnmarge von 9,8%.
Die Reaktion von CEO Herbert Hainer jedoch flößt Vertrauen ein. Er übernimmt die volle Verantwortung für die Zielverfehlung und kündigt bereits mit der Bekanntgabe der schlechten Zahlen konkrete Maßnahmen an, um das Ruder wieder herumzureißen.
So sollen die Marketing-Ausgaben deutlich erhöht werden, insbesondere den Kernmarkt Europa habe man teilweise vernachlässigt. Zudem werde die Golf-Marke TaylorMade zurechtgestutzt und auf ein kleineres Geschäftsniveau angepasst. Man spricht über Entlassungen von ca. 15% der dortigen Belegschaft.
Bei Basketball wolle man Nike in den USA Anteile abjagen. Nike hat dort 90% Marktanteil. Und beim Fußball wolle man sich gegen den zunehmenden Erfolg Nikes wehren. Hier war bislang adidas der Platzhirsch, doch je jünger die Spieler, desto häufiger sieht man Nike-Schuhe.
Bilanz ermöglicht Umstrukturierung
300 Mio. Euro Nettoliquidität hatte adidas Ende letzten Jahres, jährlich kommen derzeit rund 70 Mio. Euro hinzu. Ein ordentlicher Puffer für umfangreiche Umstrukturierungen. Nur, was sind die richtigen Schritte? Vielleicht bin ich zu nüchtern, wenn ich die Diskussionen der Branche um die richtigen Farben bei den Schuhen nicht ernst nehme. Nike habe die schöneren Farben, adidas biete hingegen nunmehr einen Schuh an, den man sich farblich selber gestalten kann. Bei der wachsweichen Boost-Sohle ist mir die Farbe des Schuhs egal, ich werde ihn nicht anziehen.
Und wer sich ein wenig näher mit Nike beschäftigt, wird feststellen, dass Nike durchaus auch neben der Dämpfungseigenschaft der Sohle die Struktur weiterentwickelt. Beim Flyknit wird die weiche Sohle punktuell mit festen Elementen bestückt, um so verschiedenste Abrollbewegungen zu unterstützen. Das muss adidas entgangen sein.
Sprich: adidas muss nicht nur ins Marketing investieren, sondern auch die Produkte weiterentwickeln. Was ist mit einer Anbindung eines im Schuh integrierten Schrittzählers über Bluetooth ans Smartphone? Wie sieht's aus mit neu entwickelten Stoffen für die Kleidung, statt immer neuer Farben? Vielleicht setzt das Marketing der Farben auch nur an der falschen Stelle an, denn die Stoffe sind ja ziemlich gut.
Neben der in meinen Augen fehlenden Innovation habe ich noch eine schlechte Logistik als Ursache für die Probleme bei adidas identifiziert. Zum einen wurde von TaylorMade in den USA diesen Sommer ein gigantisches Produktsortiment in die Läden der Einzelhändler gedrückt. Weil jedoch ein erhoffter Nachfrageboom ausblieb, sitzen die Händler nun auf der Ware, müssen die Preise reduzieren und scheuen sich, neue Produkte von adidas abzunehmen.
Zum anderen kommen diese Woche die 4-Sterne-Trikots der Deutschen Nationalmannschaft in den Einzelhandel. Sie erinnern sich: Die Fußball-WM, die Deutschland vor einiger Zeit gewonnen hat ... genau, es war vor fünf Wochen. Fünf Wochen um einen zusätzlichen Stern auf die Trikots zu kleben! Da wird sich adidas nicht beschweren dürfen, wenn es von dem Begeisterungsrausch nach dem gewonnenen Titel nicht allzu viel abbekommt.
Chance für mehr Agilität
In diesem Problem sehe ich jedoch eine große Chance: Die Beschaffungslogistik ist inzwischen so weit ausgefeilt, dass auf solche besonderen Ereignisse wesentlich schneller reagiert werden kann. Immer mehr Einzelhändler kaufen Produktkontingente ein, die nach Bedarf dann ad hoc abgerufen werden können. Auch Änderungen sind in einer modernen Beschaffungslogistik ziemlich schnell umsetzbar.
adidas könnte hier investieren und zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen auf solche besonderen Ereignisse wesentlich schneller reagieren. Reaktionszeiten von zwei Wochen sind möglich, wenn man sich im Vorfeld entsprechende Gedanken macht und passende Klauseln in die Verträge einbaut, sowie bei Lieferanten darauf achtet, dass solche spontanen Änderungen auch bedient werden können.
Zum anderen könnte adidas damit seinen geliebten Farben mehr Bedeutung schenken. Denn auch der individuell gefärbte Schuh hat derzeit eine Lieferzeit von über vier Wochen. Das geht auch schneller.
Bewertungsniveau fair, jedoch nicht günstig genug
Ein gutes Unternehmen wird immer hoch bewertet sein. Ein schlechtes Unternehmen bekommen Sie auch schon mal sehr billig. adidas befindet sich in seiner Bewertung auf dem Weg von einem guten Unternehmen zu einem schlechten Unternehmen. Gelingt nun schnell die Trendwende, so könnte die Aktie schon bald ihren Boden finden. Andernfalls ist noch reichlich Luft nach unten vorhanden. Schauen wir uns die Bewertung mal genauer an:
Das KGV 2015e steht bei 16. Der Umsatz wächst nur noch mit 7% anstelle der beabsichtigten 15%. Der Gewinn hingegen wächst noch überproportional mit 13%. Die Dividendenrendite von 2,5% ist durch einen üppigen Cashflow gesichert. Das ist eigentlich ein faires Bewertungsniveau.
Doch die Trendwende wird nicht ad hoc gelingen. CEO Herbert Hainer ist seit 13 Jahren an der Unternehmensspitze und damit der dienstälteste Vorstandschef im DAX. Er ist überraschend offen mit den Problemen umgegangen, und ich traue es ihm zu, die Geschäftszahlen schon bald wieder auf ein besseres Niveau zu heben. Insbesondere beim Gewinn dürfte er kurzfristig Erfolge erzielen, denn er weiß genau, wo die Kosten runtergefahren werden sollten.
Ob damit jedoch auf der anderen Seite auch wieder die Marke an Attraktivität gewinnt und der Umsatz wieder ansteigt, das ist bei weitem nicht sicher. Dazu braucht es mehr als nur ein paar Managementtricks. Dazu muss adidas bei Unternehmen wie GoPro präsent sein, die mit ihren Actioncams ganz neue Sportbereiche erobern. Dazu muss adidas eine schärfere Trennung zwischen Reebok als „Lifestyle-Marke" und adidas als funktionale Sportmarke vornehmen. Dazu könnte adidas die vor neun Jahren bei der Übernahme von Reebock miterhaltene Firma Rockport verkaufen, die außer Segelschuhen nicht viel für Sportler bereithält.
Doch am wichtigsten wird es sein, adidas wieder bei der Jugend attraktiv zu machen. Und das geht in meinen Augen nicht durch eine Verlängerung des Sponsorenvertrags mit der umstrittenen FIFA. Es geht nicht mit neuen Sponsorenverträgen von Champions League-Vereinen. Sondern es müssen jüngere Konzepte her: GoPro!
Kursverlauf: Absturz zu heftig für schnelle Gegenbewegung
Über Nacht ist der Kurs von adidas Ende Juli von 72 auf 57 Euro gefallen. Vom Hoch zum Jahreswechsel bei 93 Euro ist die Aktie weit entfernt. Doch eine Bodenbildung auf dem aktuellen Niveau ist in meinen Augen nach dem heftigen Ausverkauf unwahrscheinlich. Leichte Erholungen werden bis auf weiteres von vielen Anlegern genutzt, um noch auszusteigen. Für Neuaktionäre ist es jedoch noch zu früh. Die wollen erst ein schlüssiges Umstrukturierungsprogramm sehen, bevor sie nach dieser Enttäuschung Geld investieren.
Daher würde mich ein weiteres Absacken der Aktie in Richtung 50-53 Euro nicht überraschen. Dort machte die Aktie nach der Verkündung der Route 2015 im Jahr 2011 erst einmal eine Verschnaufpause, und dieses Niveau könnte sie zunächst nochmals besuchen.
Fazit
Mit einem Kauf würde ich also noch ein wenig abwarten. Vom Kursverlauf würde ich auf Kurse unter 53 Euro warten. Inhaltlich würde ich ein schlüssiges Umstrukturierungskonzept abwarten. Dabei wird mich insbesondere interessieren, wie die Marke neben gesteigerten Marketingausgaben für die altbekannten Kanäle wieder attraktiver für die Jugend gemacht werden soll.
Im Management bahnt sich ein Generationswechsel an. Zumindest im Aufsichtsrat gab es jüngst eine Verjüngung. Diese Verjüngung sollte es auch im Vorstand geben, damit innovative Ideen Einzug erhalten. CEO Herbert Hainer ist selbstkritisch genug, um den erforderlichen Wandel zu dirigieren. Doch er muss sich beeilen, um nicht von Nike zu weit ins Abseits gedrängt zu werden.
Ich werde mir für adidas ein Eselsohr bei 53 Euro erstellen und dann schauen, wie sich das Management entwickelt hat und welche neuen Ideen kommuniziert wurden. Die Bilanz ist solide, und der Markenname ist hervorragend. In meinen Augen ist ein Turnaround nur eine Frage der Zeit.
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