Praxis Steuerstrafrecht
Veröffentlicht von
Aardon Internet GmbH
am
02.11.2010
Die Elite der deutschen Steuerstrafverteidiger, einschliesslich derer, die sich dafür halten, trifft sich einmal im Jahr im November in Düsseldorf zum IWW-Kongress „Praxis Steuerstrafrecht“. Man erfährt dort Vieles, was man ohnehin schon kennt/kennen sollte, wobei manchmal schon hilfreich ist, Stimmung und Tendenzen aufzufangen, notfalls eben auch „zwischen den Zeilen“. Im Übrigen war und ist es immer nützlich, zwecks Bestätigung und/oder Neuorientierung das gezielte Gespräch mit Kollegen unter vier Augen zu suchen – und schon allein deswegen lohnt sich dieser Kongress immer wieder.
BGH, 1. Strafsenat, Beschluss vom 20.05.2010: Natürlich war, wie nicht, der mittlerweile schon legendäre Beschluss des BGH vom 20.05.2010 (vgl. Geldbrief 15/ 2010) betreffend aktuelle Fragen zur Selbstanzeige das beherrschende Thema auf diesem Kongress. So ganz nebenbei hatte der BGH bekanntlich in diesem Beschluss zum Besten gegeben, dass man die bisherige Praxis einschliesslich gefestigter Rechtsprechung in Sachen Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung schlicht und einfach „in die Tonne kloppen“ könne. Die jahrelang praktizierten Teilselbstanzeigen (wer z. B. seine Konten/Depots in Liechtenstein nacherklärt, wird „insoweit“ straffrei, auch wenn noch andere Depots in anderen Ländern verschwiegen werden) sind hiernach nicht mehr möglich. Wer durch Selbstanzeige Steuerstraffreiheit erlangenwolle, so geriet der BGH ins Fabulieren, müsse schon die vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit wollen und „reinen Tisch“ machen. Das Wort im Gesetzestext (wird „insoweit“ straffrei) müsse völlig anders gelesen und interpretiert werden, so jedenfalls der 1. Strafsenat, bei dem wiederum intern wohl vor allem der Richter Prof. Dr. Markus Jäger federführend gewesen sein dürfte. Im Podium des IWW-Kongresses höchstpersönlich vertreten, war dieser dann auch händeringend bemüht, die tiefschürfenden neuen Erkenntnisse des BGH zu rechtfertigen. Um es kurz zu machen: So richtig gelungen ist ihm das nicht. Zum einen ist und bleibt die neue Auslegung/Interpretation höchst fragwürdig. Und der Vorwurf, dass ein bzw. einzelne Richter sich nicht faktisch zum Gesetzgeber aufschwingen sollten, konnte keinesfalls entkräftet werden. Selbst aus dem eigenen Lager der Finanzverwaltung war die Kritik unüberhörbar. Der wie immer um klare Worte nicht verlegene LRD Max Rau, Vorsteher des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung in Köln, bemerkte süffisant, dass dieser Beschluss „auf Sumpfgelände“ fusse, und bat flehentlich, so etwas nicht zu wiederholen. Für Praktiker: Was die vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit nach Massgabe dieses Beschlusses für wirksame Selbstanzeigen bedeutet, wird von den einzelnen deutschen Bundesländern aufgrund unterschiedlicher Weisungen durchaus unterschiedlich – wie nicht – interpretiert.
Festzuhalten ist: Vollständige Rückkehr dürfte sich auch weiterhin darauf beschränken, dass für Zwecke der wirksamen Selbstanzeige nur die strafrechtlich noch nicht verjährten Kalenderjahre nachzuerklären sind – und eben nicht von vorne herein die weiteren Jahre, wo die steuerliche Festsetzungsverjährung noch nicht abgelaufen ist. Etwas anderes gilt nur, wenn Steuerhinterziehung in grossem Ausmass vorgelegen hat. Letzteres ist nur anzunehmen, wenn der Hinterziehungsbetrag zumindest über Euro 50’000.00 (in aller Regel wohl: über Euro 100’000.00) gelegen hat. WICHTIG: Die Hinterziehungsbeträge der einzelnen Kalenderjahre sind insoweit nicht zusammenzuzählen – auch wenn selbst in der juristischen Fachliteratur teilweise anderes vertreten wird. Das ist „Schmarren“. Entscheidend ist der Hinterziehungsbetrag pro Kalenderjahr/Steuerart! Behandlung sogenannter doloser Teilselbstanzeigen vor dem 20.05.2010: Insoweit ist vieles unklar. Wer vor dem 20.05.2010 eine bewusst unvollständige, bis dahin jedoch als wirksam angesehene, Teilselbstanzeige abgegeben hat, muss nunmehr damit rechnen (nach dem Beschluss vom 20.05.2010), dass bei späterer Entdeckung neuer, anderer Konten die Straffreiheit aufgrund der bisherigen Selbstanzeige entfällt. Unter den Teilnehmern war jedoch eine Tendenz zu erkennen, dass das im Zweifel eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung und einen Verstoss gegen den Bestimmtheitsgrundsatz darstellen würde. Das alles ist jedoch unklar. Unklar bleibt auch, ob mit solchen dolosen Teilselbstanzeigen wieder eine erneute Steuerhinterziehung (!) für die wiederum nicht vollständig erklärten Veranlagungsjahre begangen wurde, so dass insoweit neue Verjährungsfristen ausgelöst wurden! Umgekehrt können sich vermutlich diejenigen glücklich schätzen, gegen die bereits ein abgeschlossenes Strafverfahren (z. B. im Rahmen der Zumwinkel- CD) ergangen ist. Durch ein solches Urteil (bzw. Einstellung gegen Geldbusse) ist ein sogenannter Strafklageverbrauch für die entsprechenden Veranlagungsjahre eingetreten, selbst wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass es noch andere Konten/Depots, wo auch immer auf dieser Welt, gegeben haben sollte. In diesen Fällen sei wohl Strafklageverbrauch anzunehmen, aber ausschliessen, dass es der 1. Strafsenat – konkret mit einer solchen Sache befasst – auch wieder anders sehen könnte, wollte dann auch keiner. Mit anderen Worten: es braucht den richtigen Berater, um einem Betroffenen hilfreich zu sein… jur. Muc 2010 ©